Von Emma Richter an Caroline Richter. Bayreuth, 24. Dezember 1819, Freitag

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Bayreuth, 24. Dezember 1819.

Heute Abend werden wir Deine Abwesenheit noch recht empfinden, und auch die vom Bruder Max, der mich unendlich dauert, da es das erste Weihnachtsfest ist, das er außer dem Hause zubringt. Er fühlt es auch selber recht sehr und wünscht, nur uns zusehen zu dürfen, ohne alle Geschenke; und nun muß der arme Junge so verlassen zusehen bei Anderen!

Denke nur liebe Mutter, was mir für ein Unglück

Narrheit
begegnet ist, an dem ich so schuldlos bin, wie nur was. Du kennst doch den dichtenden Franzosen Annibal, der uns jetzt leider gegenüber wohnt. Der begegnet neulich dem Mädchen und gibt ihr ein französisches Gedicht an die Vorsehung für mich mit und sagt ihr, daß er mich auf dem Markt gesehen und seitdem für mich brennt, und seine Thränen nur Oel ins Feuer wären. Ich warf das elende Buch auf die Erde, ohne es anzusehen, und wußte nicht, sollte ich lachen oder weinen. Mein Trost war noch der Vater, zu dem ich gleich ging. Er machte nicht viel daraus, verbot aber dem Mädchen, einen Brief, den er an mich mitgeben wollte, anzunehmen. Ach wie glücklich ist man doch, wenn man Eltern hat, denen man Alles sagen kann! Ich hatte das dumme Ding bald vergessen und konnte nur nicht begreifen, wie sich Jemand in mich verlieben könnte. Als am Abend Liesbeth von einem Kaufmann zurückkam, sagte sie, das sie ihm wieder begegnet und daß er auf das beleidigte Nein des Vaters und von mir geantwortet habe: er wolle mich ja nicht so mir nichts dir nichts lieben, er wolle mich heirathen und, wenn das nicht sei, wolle er die Stadt verlassen und kein Mädchen mehr ansehen. Ich sagte das natürlich auch dem Vater, der dem Mädchen verbot, wieder mit ihm zu reden. Jetzt mache ich mir nicht mehr so viel daraus, aber ich erwiedere keinen seiner teifen Bücklinge.

Aber ist Dir wol in der Welt so etwas vorgekommen? Ich, die nicht das Herz hat, einem Mann ins Gesicht zu sehen, muß so etwas erleben! Mir ist nur unbegreiflich, wie sich Jemand in mich verlieben kann.

Zitierhinweis

Von Emma Richter an Caroline Richter. Bayreuth, 24. Dezember 1819, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0463


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Textgrundlage

D: Emma Förster, S. 6–7