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Baireuth, Freitag den 4ten Juni 1824.

Kaum sind Sie fort, guter lieber Richard, setzt Ihnen schon ein Brief von mir nach, und nicht blos als Umschlag des Häringschen , denn ich dachte gestern den ganzen Tag daran, Ihnen heute zu schreiben, um Ihnen wenigstens eine kleine Pfingstfreude zu machen, und sie in Leipzig zu empfangen, am Montag kann der Brief bei Ihnen sein. Ich kann den Kutscher kaum erwarten, der mir ein Blatt von Ihnen bringen soll; das mir sagt, wie Sie bis Hof gekommen. Der gestrige Tag verging für uns alle schläfrig und trüb; am Morgen kam Härings Brief – und einer von Minona an die Mutter . Der Fa[...]r Tante geht es Gottlob etwas besser, obgleich noch nicht gut. Die Mutter erbrach den Brief von Häring , weil sie glaubte, etwas über die Tante darin zu finden. Sie vergeben das sehen! Aber welch ein ärgerlicher Zufall, daß Sie, lieber Richard, um die Freude gebracht werden, ihn hier zu sehen und erst spät ihn in Leipzig zu haben, jetzt thut mir Ihre Abreise noch einmal so leid. Ich kann nicht mehr sagen, als Häring selber: es hat so sein sollen. Wenn er kommt, kriegt er etwas für Sie, aber nicht mehr als wir haben, das ist beinahe nichts. Gestern Nachmittag machten wir mit der Mutter und Otto einen schönen Spaziergang, nach der Saaß. Odilie und ich sprachen nur von Ihnen und dachten uns, wo Sie wol jetzt sein möchten. Ich freue mich immer, wenn ich daran denke, daß Sie |2 morgens und abends einmal an mich denken müssen, wenn Sie nämlich meine Pantoffel anziehen. Tragen Sie sie nur recht damit ich Ihnen bald neue machen kann, ich möchte immer etwas für Sie zu thun haben. Ihre Grüße bestt bestellte ich mit Ihren Worten an Odilie, die mich über alles ausfrug.

So schmerzlich mir gestern der Gedanke war so lange Sie nicht wiedersehen zu können, so wenig kann ich mir heute Ihr Her Hiergewesensein vorstellen, das mir wie ein Traum erscheint, und Ihr Gesicht, das meine Phantasie vergeblich aus den einzelnen Theilen zusammen sucht, es geht mir allemal und gerade mit den liebsten Menschen so, von denen ich nur einen dunkeln Umriß aber keine bestimmte Form habe. Mir ist immer als hätte ich Ihnen etwas abzubitten, und als hätten wir unsere Zeit beßer verwenden und uns mehr aussprechen können. So ists allemal, wir wünschen die Vergangenheit zurück um sie beßer zu genießen, und lassen doch jede Gegenwart ungenutzt an uns vorüberstreichen. In der Jugend bedauern wir unsere Kindheit, später jene, und am Grabe unser ganzes Leben, das uns so viel hätte geben können, hätten wirs verstanden.

Sein Sie nur recht froh bester Richard. Gott gebe, daß aus Ihren Katarrh nichts Schlimmeres wird, schreiben Sie mir ja, wenn und was Pilgrim Ihnen antwortet. Der von Ihnen so wohl gepflegte |3 Orangeriestock steht heute mit drei offnen Blüten da, über die sich der Vater sehr freut. In das Fremdenbuch wird heute ein neuer Name eingetragen, ein Profeßor Grohmann aus Hamburg kommt heutediesen Nachmittag.

Sagen Sie mir ja alles von sich und denken Sie, daß nichts Kleinigkeit ist für

Ihre
gute Emma.

Nachschrift

Mögen Sie, lieber Richard, glücklich d. h. gesund angekommen sein! – Das fortdauernde Schweigen Donauers setzt seine Abwesenheit voraus. Damit nun mein tauber Tauber nicht ewig taubstumm bleibt, so haben Sie die Güte, das Geld für mich auf ein Paar Posttage – auszulegen. Mein Brief an den Tauben war vom siebenten Mai – ich verlange die bessere lindere Brille für das rechte Auge, die schärfere für das linke und eine Studierlampe auf hohem Gestell mit 12 Dochten. Leben Sie wohl! Ihr kräftiger Todes Feind sei gegrüßt.

JPF. Richter

Wie viel Freude mit Ihnen, lieber Richard, fortgegangen ist, empfinden wir bei Ihrer Entbehrung erst recht. Es ist so leer und still bei uns wie noch nie und ich kann mich garnicht an den Gedanken gewöhnen, Sie so lange nicht wiederzusehen. Möchte Sie der Brief nur recht froh und gesund treffen! Wir freuen uns Alle auf den zurückkehrenden Kutscher der uns hoffentlich ein Briefchen von Ihnen bringt.

Daß Ihr Freund Sie nicht mehr hier trifft, ist uns so leid wie Ihnen; ohne Sie wird er hier wenig Freude finden.

Wir haben gestern Abend dem Vater einige von Ihren Liedern vorgesunden, wobei er und wir Ihre Stimme recht vermißten. Sie haben nicht alle mitgenommen, die Sie brauchen; daher werden wir sie noch nachschicken. Sehen Sie meine paar Zeilen nicht für einen Brief an, künftig will ich schon besser schreiben, wenn ich nicht nur einen einzigen Gedanken habe, aber ich muß mich erst an Ihr Fortsein gewöhnen. Schreiben Sie recht bald und oft. Ihre Odilie.

Zitierhinweis

Von Emma Richter, Jean Paul und Odilie Richter an Richard Otto Spazier. Bayreuth, 4. Juni 1824, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0473


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Textgrundlage

H: Stadtarchiv Hof, N 15; 3
1 Dbl. 8°, 4 S. 2½ S. von Emma Richter, ½ S. von Jean Paul, 1 S. von Odilie Richter.

Überlieferung

D: 3. Abt., Bd. VIII, Nr. 435 (nur von Jean Paul).