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Meiningen den 2ten November
1809

Nein! guter Emanuel nicht in Monathen, mit umgehender Post, gebe ich Ihnen meinen Danck für den freundlichen Brief zurück und dazu Nachrichten von uns und Allen Personen die Ihnen in Meiningen lieb sind. Ich würde früher an Sie geschrieben haben, denn ich habe bey mehr Geschäften doch mehr Zeit, weil ich jetzt recht gesund bin und ich durch frühes Aufstehen und kräftiger Eintheilung meiner Zeit deren mehr gewinnen allein ich wußte durch einen von Bayreuth kKommenden Reisenden, daß Sie eine weite Reise unternommen hatten. Was würde Antonie gesagt haben, hätte sie unsern Emanuel bey Pestalozzi angetroffen! – Ich bin immer noch nicht ganz mit P. Lehr-Methode bekannt, aber seinen hohen Zweck hoffe ich jetzt durchaus gefaßt zu haben. Seit einem halben Jahre giebt dieser herrliche einzige Volksbildner ein Journal heraus, unter dem Titel: Ueber Menschen und Volksbildung . In diesem, hat er seinen Carackter und seinen Plan der Allgemeinen Erziehung auf eine so klare und faßliche Weise aufgestellt, daß alle meine Zweifel gelöst sind. Er erscheint mir, wie ein heilig beruffener Mann den ich in meinen Herzen Luthern gleich stelle. Außerordentlich hätte es mich gefreut, wenn Sie mein Freund, in Iverdun gewesen und von Angesicht zu Angesicht Pestalozzi beurtheilt hätten. Sie besitzen ganz die Fähigkeit ein solches Ganzes zu prüfen, einmahl durch Ihre philosofische Ruhe bey der Ansicht jeder Sache und dann, mein Emanuel, durch die Liebe Ihres Herzens die so gern die Menschheit und am liebsten die Kindheit umfaßt. Ich erwarte sehr viel für Antonie, von ihrem Auffenthalt in Iverdun, sie gieng schon recht geläutert hier weg und dort wird sie mit eignen Augen sehen, selbst handeln, und wohl gewiß für ihr ganzes Leben die nützlichsten Erfahrungen sammeln. Es ist etwas köstliches um die Pflicht der Jugend Leitstern zu sein, aber wohl, guter Emanuel, wird die zusehende Mutter nur zu leicht die Uebersehende: Ich sage mir dieses recht oft, möchte mir der gütige Allvater helfen, jene Schwäche zu vermeiden. Könnten Sie mich nur zu weilen handeln sehen, und mir rathen, mich unterstützen. Ich möchte fast behaupten, daß der edle unpartheische Freund dabey oft mehr wirken kann als |2 selbst der Gatte. Ueber meine Kinder habe ich Ihnen, recht viel zu sagen und Ihre Liebe und Freundschaft leihe mir gern das Ohr. Ich fange beym jüngsten an bey Reinhold. Es ist ein unbeschreiblich lieblicher, süßer Knabe, keins meiner Kinder zeichnete sich so früh durch die kräftigste Gesundheit und ununterbrochenste Fröhlichkeit aus. Die letztere ist die natürliche Folge der ersteren und beyde zu bewahren ist mein fortgesetztes Bemühen. Ach Gott, Emanuel, wenn ich Ihnen den kleinen werdenden Menschen nur zeigen könnte, wenn er wie ein unschuldiger Engel lächelt und durch seine kleinen Geberden sein Wohlbehagen andeutet! Es klingt wohl recht pedantisch, wenn man sagt in Reinholds Alter, nehmlich in seinem fünf Monats Leben finge die Erziehung schon an, und doch dünckt es mich, es sey dem so. Seinen Bedürfnißen zuvorzukommen, zu verhüten, daß er nicht um etwas zu bekommen, erst schreyen muß, ihn nicht im Uebermaaß zu eßen und zu trinken zu geben, dieß alles halte ich für erstaunlich wichtig und darinnen setze ich vor der Hand seine Erziehung. Ich verweichle den Kleinen nicht, aber die höchste Reinlichkeit und Ordnung bey der Befriedigung seiner Bedürfniße diese habe ich eingeführt. Unser Richter ist gar nicht mit meiner ersten Kindesbehandlung zufrieden, allein ohngeachtet er, Levana's Verfaßer, es nicht ist, kann ich nicht von meiner Ueberzeugung weichen, sie liegt im Innersten meiner Seele, ja sie ist eins, mit meiner Religion.

Pauline ist die nehmliche, wie Sie sie in Bayreuth kannten, sie wächst, bildet sich aus, aber immer in dem hausmütterlichen Sinne, den Sie gern in ihr bemerckten. Ich halte diesen Sinn sehr werth weil er durchaus zur Weiblichkeit gehört zwar nicht immer ganz besondre Geistes Anlagen mit sich führt aber diese durch Anmuth und Herzens Güte ersetzt. Pauline genießt seit einigen Monathen den öffentlichen Unterricht in einer sich seit Kurzen hier gebildeten Töchterschule. Ein Schwieger Sohn Salzmanns mit Nahmens Märcker hat sich hier ansäßig gemacht und dieser ist der Vorsteher jener Schule. Ich leugne nicht – da ich bisher Pauline selbst unterrichtete und überhaupt keine meiner Töchter außer dem Hause Unterricht genommen hat – so that es mir im Anfange weh, mich von dem lieben Kinde mehrere Stunden im Tage zu trennen, allein mehrere Gründe bewogen mich dazu. Herr Märcker ist ein sehr edler Mann dem das Wohl der |3 der Kinder sehr am Herzen liegt und der eine vortrefliche Methode im Unterricht hat, außerdem schienen mehrere Personen hier, die mehr Kinder als ich haben sich erst durch mich bestimmen zu laßen, ob sie ihre Kinder der Schule anvertrauen sollten oder nicht, und dieße bestimmte mich der guten Sache keinen Einhalt zu thun.

Nun auch einige Worte, guter Emanuel, über mein aeltestes Kind Amanda. Sie macht mir Freude aber auch Kummer! Indem sich ihre Talente und Geistes Anlagen mehr entwickeln mache ich Entdekungen an ihr die mir bange Sorgen für ihr moralisches Seyn machen. Daß sie immer einen außerordentlichen Hang zur Eitelkeit hatte bemerckte ich schon lange, mit einem Worte, es war immer ihr Hauptfehler; zu diesem gesellte sich nun ein hoher Grad von Sinlichkeit. Auf welchem Wege Emanuel, soll ich [...] diesen Feinden und Störern wahrer Weiblichkeit entgegenkommen? Daß, Amanda, im weitesten Sinne des Worts unschuldig ist, nun dieß kann ich verbürgen, ja daß sie sich unbewußt sinnlich ist eben so sehr aber dieß beydes verhütet nicht täglich die mannigfachsten Unbesonnenheiten, die, wenn ich sie nicht mit der grösten Anstrengung beobachtete Gott weiß wo hin sie schon geführt hätten. Ohngeachtet Antonie, ein herrliches Mädchen ist, so hat sie mir doch bey Amandas Erziehung viel geschadet, einmahl durch eine Lob Verschwendung die sie gar nicht nach dem Carackter berechnet hatte und dann durch ein Nachgeben wodurch sie meinen Ernst bey Amandas Behandlung in ein viel zu strenges Licht setzte. Oh Gott, Emanuel könnte ich Sie nur einmahl sprechen, bey einer so wichtigen Angelegenheit kann die Feder gar nichts ausdrüken. Es liegt viel sehr viel Gutes in Amanda, aber noch bey nichts eine feste Richtung, ihr ganzes Wesen ist jedem Eindruk offen und der Leichtsinn raubt so oft das beste. Ich sehe nicht zu streng meine Sorgen sind gegründet. Wäre der Graf S. nicht ein in jeder Rücksicht verächtlicher Mensch, so würde ich ihm seine Tochter den Winter über aufs Land gegeben haben wo sie weniger Zerstreuung gehabt, hätte und sich da hätte der Häuslichkeit annehmen müßen vor welcher sie grösten Wiederwillen hat. Im väterlichen Hause würde ihr manches anders erschienen seyn und vielleicht hätte sie ihr Ehrgefühl |4 zu manchem vermacht, woraus sie sich als Angewohnheit hier nicht herausreißen kann. Ich habe zu spät ihren Wiederwillen für weibliche Häuslichkeit entdekt und klage mich deshalb ernstlich an. Ich habe ihre Talente zu sehr herausgehoben und sie zu viel Zeit darauf verwenden laßen, bey Paulinen benutze ich die gemachte Erfahrung, könnte ich es nur auf der andern Seite wieder gut machen. Mit bloßen Talenten nutzen wir keinem Manne und dieß ist unsere schönste Bestimmung aber der Mann fordert Ordnung Reinlichkeit Sparsamkeit und überhaupt Tugenden mit denen wir in der Welt nicht geradezu paradieren können die dem häuslichen Herde aber eigens gehören müßen. Emanuel, mein Schwendler ist ein treflicher Gatte und dennoch würden wir nicht glücklich sein, bemühte ich mich nicht nach meinen Kräften meinem Hause vorzustehen. Oft hoffe ich recht viel für Amanda wenn der Zeitpunkt kommen wird wo sie lieben wird, aber ich zittre auch für denselben ehe ich nicht gewiß weiß, wohin sie ihr Herz richten wird. Es ist mir ordentlich leichter im Herzen seit ich Ihnen meinen Kummer entdekt habe, was sie mir darüber zu sagen haben und in wiefern Sie mich belehren wollen, dieß vertrauen Sie in Ihrem nächsten Briefe einen eignen Blättchen an . Ich war bisher gewohnt Ihre Briefe an mich Amanda mitzutheilen und möchte es ferner thun, weil ich so besonders den Ausdruk der Wahrheit in Ihrem Styl schätze und dieser jungen Briefstellerinnen so nöthig ist.

Caroline Richter ist ganz stumm für mich, Henriette Schukmann bleibt mir keinen Brief schuldig, sie ist überaus wohlwollend und herzlich gegen mich.

Die Pension von Primus an Richter ist doch gegründet? lange Zeit machte mir wohl keine öffentliche Handlung solche innige Freude.

Der Friede nährt meine Hoffnung Sie künftiges Jahr wiederzusehen. Leben Sie froh und glüklich Emanuel.

Henriette

Mann und Kinder grüßen Sie mit Liebe und Hochachtung

Ich bitte meinen Freund diesen Brief zu zernichten!

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meinigen, 2. November 1809, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0487


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl. 8°, 4 S. Briefnummerierung vfrH.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 27. Oktober 1809
A: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 7. Dezember 1809