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Freiberg. den 19ten July 18002.

Mein theurer unaussprechlich geliebter Vater, ich schreibe Ihnen diese Zeilen am Tage vorihren Geburtstag , aber eigentlich für diesen Tag. – Werden sie gleich erst später ihr Ziel erreichen, so müßen sich unsre Seelen doch früher begegnet seyn – denn die Meinige wird Sie bey dem Aufgehen dieses feyerlich-schönen Morgens umschweben – und alle meine Wünsche – die Sie kennen – und mein Gebet! –Ich habe eine Kleinigkeit für Sie gearbeitet; eine große Kleinigkeit, mein theurer Vater! – Wird Ihnen das Hemdchen, wohl Spaß machen? Werden Sie mir zum Andenken und zur Liebe – vielleicht es tragen?

Ihren Brief , auf den ich mit einem bangen Gefühl der Erwartung harrte, habe ich erhalten! Mit Wehmuth sah ich mich getäuscht – denn ich hieng schon, wie an einem meiner liebsten Wünsche, an Ihrem Wunsch und Plan, und ich sehe ein, daß er nicht in Erfüllung gehen kann. |2 Ihr Blick ruhtirrt nun wieder umher, einen Gegenstand zu finden, auf welchen er ruhen möchte. Wollte doch der Himmel Ihnen einen zuführen der dieses Blicks ganz würdig ist.

Sie nennen mir die Cäsar, – keine Schwester, sonderneine Niece der Mad. Cray . Diese ist mir von allen ihren Schwestern die fremdeste. Ich sah sie nie; hörte aber immer daß mit ausgezeichneter Achtung von ihr sprechen, und es wäre also wohl möglich daß sie den Charackter ihrer Familie nicht an sich trüge.Das dritte Wesen, über welches Sie den Schleyer des Geheimnißes ziehen, errathe ich nicht! – Ich fiel auf die Eichmannsche Tochter – doch, sie sagten in Dresden, daß sie ihre verheirathete Schwesternach Südpreußen begleite . KönnenSagen Sie mir immer, liebster Vater, wer das Wesen ist? –

Der Brief von Caroline hat sehr unangenehm auf mich gewürckt. Schongleich nach |3 meiner Ankunft hier, schrieb ich an sie , und so weitläuftig und ausführlich von unsrer Reise und unserm unerwartetem Zusammentreffen mit Ihnen; daß ich wircklich glauben muß, sie zürnt im Ernst auf mich – da ich noch keine Zeile seitdem von ihr gesehen habe. Ich denke aber auch, daßihr Aufenthalt in Weimar sie zu sehr zerstreut – und will ihr nächstens noch einmal schreiben.Im vorigen Briefe frug ich sie ob wir noch darauf rechnen dürften, sie noch in diesem Jahre in L. zu sehen, und machte es ihr wahrscheinlich – daß auch Sie, liebster Vater, sich vielleicht dazu würden berreden laßen! würden Denken Sie sich, daß ich so glücklich war von hier aus eine Fahrt nach Dresden zu machen. Wenn gleich nur wenige Tage darauf verwandt werden konnten, war es doch ein hoher Genuß – weil die Erinnerung die Gegenwart noch verschönerte! Auch auf einer andern Seite des sächsischen Paradieses war ich, in einem Städtchen, Frankenberg genannt – welches eine zauberrische Lage hat; aber nur einen einzigen Tag! |4 Alle diese Freuden habe ich einer lieben Bekanntschaft zu verdanken, welche mir der Himmel in Freiberg zuführte. Dies weibliche Wesen werden Sie auch kennen lernen – denn es ist eine Curländerin welche nach ihrem Vaterlande über Berlin zurückkehrt – nach dem sie hiereinen geliebten Manne nach einem Jahre ihrer Verbindung mit ihm, begraben ließ! – Sie ist dort eine neue Verbindung eingegangen, und nimt da sie Deutschland das ihr sehr lieb ist wahrscheinlich für immer verläßt – noch von jeder schönen Gegend feyerlich Abschied. Dies die Veranlaßung der kleinen Reisen. Sie hält sich bey ihrer Durchreise einige Tage in Berlin auf – und wird Ihnen dann einen Brief von mir bringen – weil sie Ihre Bekanntschaft zu machen wünscht. – Auch die May wird sie aufsuchen. Denn sie kennt den Bruder der May sehr genau. Ihm verdankt sie ihre ganze geistige Bildung, und schäzt ihn unendlich. Wollen Sie die May immer auf diese intereßante Bekanntschaft präpariren, so so nennen Sie ihr den Namen Baumbach . Gewiß kennt sie die Familie welche so heißt und in welcher ihr Bruder viele Jahre lebte! Das Ende meines Blattes, erinnert mich daß ich zu weitläuftig gewesen bin!

Leben Sie wohl mein theurer Vater, der Himmel sey mit Ihnen, und laßen Sie bald wieder etwas von sich hören Ihrer treuen Tochter Ernestine.
Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Freiberg, 19. Juli 1802, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0490


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Über dem Brief Datierung vfrH: 1801.