Von Odilie Richter an Caroline Richter. Würzburg, 29. Juli 1822, Montag

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Würzburg den
29ten Julie.
1822

Geliebte Mutter!

Habe recht herzlichen Dank für die Menge Sachen, die Du schon wieder geschickt. Du schickst mir mehr, als ich bedarf. Ich verursache Dir so viele Mühe und Sorge; das thut mir so leid. Die Emma schrieb mir , daß Du gute Mutter, Dich am Fuß gestoßen hast. Ach Gott, wie dauerst Du mich. Wenn ich Dich doch pflegen könnte; wie gerne wollt ich Dir Alles zutragen, daß Du garnicht aufzustehn brauchtest. Du hast gewiß rechte Schmerzen. Ich bin doch jetzt zu gar nichts Nütze und kann Niemand helfen. Liebe gute Mutter, sage mir doch ob der Vater böse auf mich ist; leider mache ich immer so viele Fehler in meine |2 Briefe. Allein sie geschehen nur aus Schnelligkeit, denn ich muß mich immer so eilen, da ich nur kurze Zeit auf sein darf. Dann habe ich so viele Gedanken in mir, daß ich oft manches geschrieben glaube, was ich noch im Kopfe habe. Ich kann jetzt garnicht froh sein, wenn ich mir denke, daß Eins von Euch böse auf mich ist. [...] Der Vater denkt gewiß nicht an mich da er mir nicht schreibt. Ich kann es noch nicht verlangen denn ich bin noch so klein und weder Dir noch der [...] ähnlich Verzeih gute Mutter daß ich so schreibe, allein es macht mich so traurig wenn ich Euch betrübt habe.

Über Fannis Ankunft war ich außerordentlich erfreut. Sie kam am Morgen, wo wir noch lagen, herein. Ich warf Alles von mir, und konnte mich kaum |3 fassen vor Freude. Sie ist so groß geworden, daß sie mir ganz anders vorkam. Ich habe sie so ausgefragt und weiß doch noch nicht genug. Den zweiten Tag kam sie Nachmittag wieder zu mir und erzählte mir von Euch und allen andern Menschen. Die arme Fr. v. Welden hatte so Katarrh von der Reise bekommen, daß sie ganz elend aussah; doch gestern, wo ich wieder dort war, sah sie wieder so schön wie sonst aus. Sie fragte mich wenig aus, da ihr wahrscheinlich Hr. Heine schon Alles gesagt hat. Mir komt es jetzt wie ein schöner Traum vor, daß ich die Fanni hier gesehen habe und mir ist so einsam und leer zu Muthe. Wir waren so froh zusammen. |4 Der guten lieben Sübse, sage tausend Dank für den allerliebsten Kragen. Er freut mich ungemein da er so schön über die Maschine paßt und doch bedeckt. Ich kann mich nicht genug wundern daß sie so schön nähen kann. Gestern bin ich damit herumstolziert. Bald sollen auch Produckte meiner Kunst zu Euch gelangen. IchIn meinen letzten Brief vergaß ich zu schreiben, daß vor acht Tagen der Professor Schlichtegollgroll und seine Frau bei mir waren. Sie waren in Würzburg und besahen das Institut und kamen auch zu mir. Ich mußte so weinen, wenn ich sie ansah.

Es wird zu spät zum mehrschreiben. Lebt recht wol, meine geliebten Ältern , werde bald wieder ganz gesund, gutes Mütterchen. Gott erhalte Euch alle. Eure treue

Odilie

Viele Grüße an die gute einsame Luise Welden

Zitierhinweis

Von Odilie Richter an Caroline Richter. Würzburg, 29. Juli 1822, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0532


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