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Leipzig 18 July 808

Ihre liebe Frau wird gewiß ungehalten über mich seyn, und sich fest vorgenommen haben, eine so saumselige Person als ich ihr erscheine, nie wieder durch Aufträge zu ehren. Allein, die Gute, mag nur einen Theil Ihres Unwillens zurücknehmen, denn der verdrießliche Färber ist es, welcher die Sache so aufgehalten hat; vor Pfingsten keine Arbeit annehmen wollte, und nach der Zeit von Woche zu Woche auf die endlich Übernommene warten ließ. Zum Glück ist es Sommer, wo man den Atlas ohnehin für die kalte Jahreszeit zurücklegt, dies tröstet mich in Absicht des Zeugs, das Ihre Liebe, nun endlich heute erhält. Möge sie den Preiß von 2 rth. so ich dafür bezahlen müßen nicht zu theuer finden und mit des Schwarzkünstlers Arbeit zufrieden seyn!

Ihre letzte Erscheinung ist mir noch wie ein Traum bester F. An dergleichen Ueberraschungen durch Sie gewöhnt, war mir die lezte am bedeutendsten , und wird schon darum nie meinem Gedächtniß entweichen weil sie den Vorabend einer neuen Leidensperiode bezeichnet, durch das Siechthum meines jüngsten Kindes veranlaßt, welches sich jenen Abend vor Ihren |2 Augen noch frisch und fröhlich auskleiden ließ und am nächsten Morgen einen für mich völlig fremden und also doppelt grausigen Anblick gewährte. Die sanften Gesichtszugen waren von den heftigsten Konvulsionen zerrißen, das Körperchen von epileptischen Stößen in die Höhe geworfen, und alles dieses doch nur erst Vorboten eines langwierigen und bösartigen Nervenfiebers, welches zwei Aerzte viele Wochen hindurch beschäftigte und mich drei Wochen ohne Ruhe und Schlaf in Todesangst hinbringen ließ. Doch Richard ist genesen und alle die trübseeligen Bilder, welche mir einen schönen Theil des Lebens, den heitren Frühling verkümmerten mögen zurücktreten, vor dem schönen erquickenden Gedanken daß ich ihn nicht eingebüßt habe

"er zählt die Häupter seiner Lieben
und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt"

Ich habe in dieser Zeit sehr viel an Sie gedacht mein theurer F. den ich wohl mit Recht unter meine treusten und anhänglichsten Freunde zählen darf. Ich spreche oft mit Apel und Wagner von Ihnen. Es wird Sie freuen zu hören daß diese beiden, die einst sich innig liebten, und |3 eine Zeitlang durch Misverständniße getrennt waren, sich jetzt wieder einander nähern, und wie ich zu Gott hoffe, sich bald ganz wieder verstehen lernen werden. – Wenn Sie später als vor Michaelis nach L. kommen so finden Sie mich nicht mehr in meiner Vorstadt Wohnung. Sondern in der Stadt und zwar wohne ich dann Peterstraße N. 72. Die Ursach zu dieser Veränderung gegen meine Neigung, die ich alles Eingekerkerte haße, ist Industrie, die Mutter so vieler Wiedersprüche. Da man mir rieth durch Meßvermiethungen einen Gewinn zu verfolgen, dem hier Alle nachstreben, die nur einigermaaßen darnach eingerichtet sind, so will ich es auch damit versuchen. Dies läßt sich aber nur in der Stadt unternehmen.

Einen Anklang von Geisterverkehr erhielt jener Abend, an dem sie wie der Abgesandte eines dunkeln Gebieters [...] , von dem matten Lichtschein kärglich beleuchtet, mit halben Gesichtszügen, den Hut tief in's Auge gedrückt, mir fremd und doch wie ein Bekannter, – die Klinke meiner Stubenthüre aufdrückten; und langsam aber festen Schrittes auf mich zukamen, noch durch etwas für sich bestehend zu unser Gespräch sich noch anders durch |4 die Lieder des Schiffers von der Ostsee , die mich so erfreuten wenn Sie sich erinnern, so daß Sie sie mir mehrmahl hintereinander sagen mußten. Geben Sie mir die Lieder, bat ich, allein Sie waren noch nicht bestimt, was sie damit anfangen wollten. – Ist Ihnen noch nicht Ort und Stelle bestimmt, von wo aus sich das größere Publikum ihrer ermächtige, so bitte ich noch einmal: Geben Sie mir die Lieder, und erwarte Ihre Entscheidung in klaren Worten, mich des Ja's frohlich freuend wenn ich es erwarten darf von Ihrer Freundschaft. Was ich damit will, wißen Sie ohne daß ich es Ihnen sage.

An St. Schütz bitte ich Sie diesen Brief gelangen zu laßen. Wißen Sie mir in Weimar ein neues frisches Talent zu nennen, deßen Beiträge meinem Unternehmen zur Zierde gereichen, und das meine Aufforderung ehren würde so nennen Sie es mir –, damit ich es anrede.

Wohl schreien die [...] Verleger nur immer daß man sich um große berühmte Nahmen bemühe damit wenigstens ihr Inhaltverzeichniß wenn auch nicht der Almanach selbst dadurch angefüllt würde, und verlangen daß man nach einem Blattchen worauf Göthe die Feder probiert gierig es haschen solle als nach dem vollendetsten, was eine schüchterne Muse in unbe- |5 suchten stillen Thale singt. Konnen Sie mir zu einem solchen Blättchen verhelfen oder vielleicht Ihre Frau? Es könnte mir Nuzen bringen, auf diese Weise dem ehrlichen Wilmans zu willfahren. So habe ich also wieder einmal recht aus voller Brust zu Ihnen geredet bester. F. Thun Sie bald ein Gleiches und schicken mir eine lange Epistel. Ich bin eigentlich reich an Briefen von Ihnen, wie ich heute beym Ordnen verschiedenen Papier mit frohem Erstaunen bemerkte.

Ist Ihnen vielleicht mit Ubergehung Cotta's den ich schon für mich zu intereßieren versucht, eine Buchhandlung bekannt, die gern ein Bändchen Erzälungen von mir druckte? Vielleicht mit kleinen Aufsätzen untermischt und unter einem sinnreichen Titel, mit meinen Nahmen an der Spitze . Es hilft nichts. Was man einmal will, muß man recht wollen, also will ich nach langem Zögern, mich aus dem Dunkel hervordrängen, und versuchen was das Glück und die Rezensenten für meine Kleinen Geistesprodukte thun wollen. Eine deutsche Fr. v. Genlis ein weiblicher Kozebue möchte ich nicht gern werden, aber Geld verdienen [...] wie Beide, wäre in diesen Zeiten der Bedrängniß wohl an der Zeit. Intereßiren Sie sich ein wenig für diese Idee Ihrer armen kleinen Freundin, und Leben Sie wohl und glücklich mit Ihrer Holdseeligen, und dem freundlichen Chore der Kinder.

M. Spazier

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Johannes Daniel Falk. Leipzig, 18. Juli 1808, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0533


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Textgrundlage

H: GSA, 15/II,1D,14
2 Dbl. 8°, 5 S.