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Coburg den 18ten Mai 1804.
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Mein inniggeliebter theurer Vater,

Sie können nicht denken, wie unbeschreiblich mich Ihr gütiger liebender Brief überraschte, da ich nach tausend Möglichkeiten Ihres Schweigens, endlich fürchtete, Sie zürnten mit mir. Worüber? wußte ich mir zwar nicht zu erklären, doch schien mir das wahrscheinlichste, eine Stelle in meinen Briefen habe Sie irre an mir gemacht – und doch konnte ich mir nichts bestimmtes vorwerfen, als höchstens eine Undeutlichkeit, die einen Misverstand zuließ. Gott sei Dank, da es nicht so war – aber daß Sie krank, bedeutend krank waren, und wir Ihre Kinder wusten von nichts – niemand, selbst die Tante Merzdorf die doch gewis viel um sie war, schrieb uns ein Wort davon, das ist entsezlich! Es ist wahr, die Entfernung hätte die Angst um Sie vergrößert, aber was sollen wir für die Zukunft hoffen, wenn Sie uns als so ganz abgeschnitten von Sich ansehen – diejenige unter uns die am freisten ist – Ernestine – wäre gewis zu Ihnen geeilt, und wenn sie nur selbst den Trost des eignen Anschauens gehabt hätte! –

Was fehlte Ihnen liebster Vater – die Art Ihrer Krankheit ist mir wichtig, weil ich fürchte Sie überlaßen Sich zu sehr an Hufeland, der wahrscheinlich Ihr Arzt ist, und noch zu viel von dem alten medizinischen Schlendrian |2 an sich haben soll, wie ihm neuere berühmte Äzte vorwerfen. Mein Mann versteht sehr viel von der Kunst – ich wollte um deswillen wir wären in Ihrer Nähe, weil er wenigstens manchen Fehlgriff abwenden könnte.Glauben Sie aber deshalb nicht daß er ein Geschäft daraus macht zu kuriren, aber kürzlich rettete er ein sterbendes Kind vom Wangenheim, das einem halbjährigen Keuchhusten erlag – die Ärzte hatten ihm die lezten Reizmittel – Moschus – China gereicht, und sein Ziel auf noch höchstens 16 Stunden gesezt – da rieth mein Mann den sich weigernden Ärzten u Eltern dem 1 1/4tel jährigen Kinde ihm 1-2 Theetaßen des ältesten stärksten Weins auf einmal zu geben – dann wieder, wenn es Durst äußerte – und das Kind lebt ißt schläft seit drei Wochen! – –

Die Außicht die Sie mir öfnen auf unser Wiedersehen ist freilich das höchste was ich erleben kann – und Sie sprechen davon mit einer Bestimmtheit, daß ich glauben kann – es ist Ihnen Ernst. Dennoch rechne ich nicht darauf, das Schiksal führt selten mehrere Plane zu einem Zweck, und wenn wir meynen etwas gewis zu haben kömmt ein plözlicher Riß dazwischen. Sie selbst erklären doch nicht deutlich zu welcher Zeit Sie Sich losmachen |3 wollen, und das entscheidet doch so viel! Fast fürchte ich mich Ihnen zu sagen, daß mein Mann im August wieder Coburg verläßt, weil ich durch Ernestine weiß, da Sie Ihn der Unbeständigkeit beschuldigen – doch sehne ich mich selbst nach einem andren Ort, weil seit der öffentlichen Zänkereien sich alles hier verändert hat.

Die intereßanten Menschen haben entweder die Maske der Rechtschaffenheit abgethan, und man kann sie um deswillen nicht mehr sehen, oder sie verlaßen auch Cob. der Hof hat sich gemein und verächtlich gemacht, so daß m M. auch dort nicht mehr hingeht – die rechtschaffnen Leute werden zu armen, u alle Geselligkeit hört auf. Im Sommer ist es noch götlich hier, weil es die Gegend ist. Aber im Winter geht es nicht mehr – ich selbst, die ich leider dann eine dritte Niederkunft erwarten muß – möchte um keinen Preis hier wieder Wochen halten. Bekümmerte sich jemand um mich theilnehmend? Die vornehmen Besuche genirten mich nur – u es ist wahr in meinem Stand habe ich keine Bekannte, aber geben Sie mir zu, daß wo die Sommern eine ausgezeichnete Unterhaltung machen würde – der bürgerliche Zirkel des Opfers meiner Zeit nicht werth ist. Sie werfen mir vor, da es an mir liegt keine Freundin zu haben – wo sol ich sie suchen – von den Prätensionen des kleinstädtischen Adels haben wir in Berlin keinen Begriff, u nur mit einer solchen Prätiosität wie ich |4 gegen ihn übe, genießt man einer Achtung wie sie freilich ge für mich haben. Doch habe ich mich seit einiger Zeit näher mit einer Fr. v Spessard eingelaßen, die ohnstreitig die originelste u gescheuteste Frau in der Stadt ist. Sie liebt mich sehr.

Mein Mann ist selbst noch nicht entschieden wohin er geht – am wahrscheinlichsten wählt er Baireuth wohin ihn seine Freunde ziehen – wenn Sie vor den August nur reisen könnten! mein Mann ist jezt abwesend auf einer Fußreise nach Bamberg – Erlangen, ich kann daher über seinen Entschlus nichts sagen, weil ich ihn nicht kenne.

Nächstens werden Sie durch einen unangenehmen Besuch recht viel von mir hören, den ich nicht abwenden kann, doch indem die Person das meiste von mir zu sagen weis – wird sie Ihnen vielleicht lieber – der Lieutenant kennt mich kaum – es ist die gewesene Schlabberndorf die mit ihrem jezigen Mann den Regierungsaßeßor Schwendler eine Reise nach Breslau, eine Erbschaft zu holen, macht, u über Berlin geht – sie bat mich um einen Brief an Sie. Ach, wäre ich an ihrer Stelle – meine Sehnsucht ist stärker als je – gern wäre ich unter dem Gefolge der Grosfürstin gewesen, wenn mich nicht Mann u Kinder hielten. Nun, leben Sie wohl einziger theuerster Vater – vieles in Ihrem Briefe, beantworte ich ein andermal – Gott erhalte Sie gesund, und mit Ihrer edeln Frau, die ich innigst grüße, lange glüklich – mich u meine Kinder leg ich an Ihr Herz.

Ihre treuste Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 18. Mai 1804, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0549


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

D: Persönlichkeit, S. 85, Nr. 151 (unvollständig).