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M. d. 11 Febr
1803

Ich wil ein wenig Ihrem Briefe antworten, den ich noch nicht gelesen, weil er vermuthlich erst aus Rudolstadt abgeht, wohin ihn meine C. mir nachgeschikt, indes ich gar nicht dahin dem Herzog nachgegangen – aus Furcht der Schlos-Feste u. aus Mangel anSehnsucht nach Frau und Bayr. Bier, dessen Mangel mich schon in Weimar krank gemacht – sondern 8 Tage früher hieher gekommen war. Der Herzog verübelte mir die Trennung so wenig, daß er seit gestern auch hier ist u. auch nicht in Rudolst . war. In Weimar fand ich mein altes Lebens- Italien bei dem alten Herder wieder, dessen Zunge |2 für mich die Zunge in der moralischen Apothekerwage ist, so sehr auch fremde Macht u Witterung u EisEis-Schwere falsches Gewicht in ihm unbewust in die Schaalen bringen. Kurz wie eine Tragödie nach Aristoteles, reinigt er mich.

187. St. Göttingsche Gelehrte Zeitung.
Aber er ist leibes- u. seelenkrank; sein geistiges wie sein Körp. Auge siech. Ich brachte ihm einige himmelblaue Abende an seinen Tisch. – Sonst fand ich an Weim . nichts so schön als das Thor nach – Meining . zu. Aus einer neuen theuern Oper – Roxelane – gieng ich u Herder nach dem 1 ten Akte, |3 so hundsschlecht war sie. Mit Schiller disputiert' ich mich in einem schönen diner von 91 Couverts hinter dem gebognen nakten Rücken der benachbarten Dichterin Imhof sehr herum, aber sehr friedlich u ich lieb' ihn wieder etwas.

Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum ¾ Stunden meines Weim. Aufenthalts berichtet – von Gotha noch gar nichts – von 9 Tagen auch nicht –: gleichwohl sind schon 3 Seiten beschmiert; und doch verlangt irgend ein Mensch in Bayr . oder sonstwo, daß man ihm seine Begebnisse deutlich erzähle? So geb' einem der Mensch nur Papier und Ewigkeit. –

|4 In Weimar u. besonders b in der Kälte fühlt' ich was ich d Ihrem Bier verdankte. Dieser harte Winter

Denn nichts ertödtet meine Nerven so sehr als ein blauer kalter Tag, nicht ein bwölkter
hätte aus den Narben, die mir sein harter 99ger, 80ger Bruder gegeben, die tiefsten Wunden gemacht – ich wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen – ich hätt' es gerade so viel schlimmer heuer gehabt, als ich es gerade besser hatte als je – wäre nicht Ihr Bier gewesen, meine Lethe, mein Paktolusflus (wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil, meine vorlezte Oelung, mein Weihwasser u. dergleichen. Kurz mit Freuden vernahm ich, daß Sie schon wieder ein Fäslein – Gott gebe, ein Fas – reisefertig haben. Es reise bald! – In Coburg brauch' ich nichts mehr.

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d. 15. Febr.

Noch sind Ihre Antworten nicht aus Rudolstadt zurückda, als wäre lezteres – Bayreuth. So sol denn diese laufen, Lieber. Ich hätte gern eine Zeile Ihres Herzens gelesen – u. ich hoffe, Sie antizipieren Ihre eigne erste Antwort u. schreiben mir früher als ich etwas von Ihnen bekomme aus – R. Machen Sie doch einmal – damit Sie auch zeigen, daß Sie uneigennüzig sein u Ihr Selbst vergessen können – Ihre Freundes Paar mit lezterem (dem Selbste) bekanter, mit Ihrer Gesundheit im Wint., mit Ihren Visitten, Fêten, Freuden, Re- v und Evoluzionen u. sogar Ihren Hofnungen. Guter Emanuel, aus demselben Grunde, warum Sie die fremde Geschichte mit Liebe em |6 pfangen und fodern, mus ja Ihr Freund Ihre auch. Ihr Karakter schwebt fast ohne Geschichte vor uns, der Geist entkörpert.und der Körper entgeistet.

Die Millionen Dinge, die ich zu erzählen habe, sollen Sie in Koburg in Ihrer Stube hören; z. B. daß Emma seit meiner 10täg. Abwesenheit zehnmal stärker geworden und ruhiger u daß alle Prinzipien der Behandlung, Kaltwaschen, Liegenlassen u. s. w. götlich gesiegt. Das zarte Wesen ist nun ein starkes, durch Regeln. Ich tanze sehr mit ihm in der Stube, nur hab' ich die Tänzerin nicht im sondern aufm |7 Arm. – (Mit Herder Hier giebts keine Neuigkeiten als die in meiner Brust; u diese lass' ich meist zu Ostern verlegen für Spot-Geld. Sagen Sie mir doch einmal scharf und rein Ihre Gefühle bei dem Titan; – ich sage nicht Urtheile, denn über die Kunst giebts keine; zwar wohl über die Form; aber über den Geist nicht, den nur ein Gefühl um / auffasset. – Was wird eben in Bayr., Hof , Wonsiedel , Meisterliches für Poesie, Philosophie, Gottheit, Teufelheit gethan? Was thut und macht mein lieber Thier Thieriot? –

Gute Nacht, mein Alter! – Nur gerade das Bier an Meusel , mit dem Anhang / Foderung der Extrapost / Sorge. Ich hab ihn belohnt; auch thut er jezt alles, weil ich hinziehe. Adio, Caro.

Die Schlabrendorf grüsset Sie eben sehr. Ihr Brief gefiel ihr

d. 16 Febr

Eben kam Ihr neuester Brief. C. wird fortfahren. Ich grüsse Otto u werde seinen Brief, der nicht ganz so lang war als er ausblieb, umgekehrt beantworten.

Noch 3 Wochen lang ich mit dem Bier nothdürftig

Daß ich meinen Mann zufällig um die Freude gebracht habe, Ihren Brief den er während seiner Abwesenheit empfing mit dem meinigen zu lesen hat blos seinen Grund in meiner Vorschnelligkeit, die sie ihm früher bereiten wollte. Ich kann daher mir nur sehr geringe Vorwürfe machen, ob ich gleich böse auf mich selbst bin, und noch böser seyn werde, wenn er verloren geht.

Sie sagen mir jezt ich hätte eine Freude darin gefunden Ihnen Vorwürfe zu machen, und ich versichre Sie, daß ich es ungern that, weil mein Gewißen mich mahnte. Niemand kann Ihnen mehr schuldig seyn an Dank, an Liebe, an Worten, als ich, und mit der unausgesezten Aussetzung meiner Schuld kann ich weder Sie noch mich befriedigen. Heute sag' ich sogar wieder nur wenig, und Ihre Unzufriedenheit mit Ihrer paßiven Schülerin in der Erziehung hat nicht blos in ihrer Übereinstimmung mit Ihren Ansichten seinen Grund, sondern blos in meiner Kargheit mit Zeit gegen Sie, die ich freilich höchst schwächlich an meine Emma verschenke, ohne zu bedenken, daß ich sie ja nur mittelbar, für diese verwende – unglüklicherweise kommtfällt ein Reim in diese prosaische Prosa – verzeihe es der Genius des guten Styls! Wegen Ernestine, meinte ich weiter nichts als einige schriftliche Worte, u begreife den Vorwurf der Zweideutigkeit nicht.

Caroline

Zitierhinweis

Von Jean Paul und Caroline Richter an Emanuel. Meiningen, 11. bis 16. Februar 1803, Freitag bis Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0553


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Textgrundlage

H: SBa, OFS.Autogr. R 1(1803.02.11
2 Dbl. 8°, 7¼ S. von Jean Paul, ¾ S. von Caroline Richter.

Überlieferung

D: 3. Abt., Bd. IV, Nr. 347 (nur von Jean Paul).

D: Denkwürdigkeiten 1, S. 122–124 (nur von Jean Paul, unvollständig).


Korrespondenz

A: Von Emanuel. Bayreuth, 4. MÄRZ 1803 (4. Abt., Bd. IV, Nr.48-fb)

Präsentat: sowohl über Jean Pauls Brief vom 11. als auch vom 15. Februar: 4t Mart beantw. (4. Abt., Bd. IV, Nr. 48, Fehlbrief)