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Bair. den 5ten Juli 1822.

Mein geliebtes Kind!

Es scheint mir so lange, daß ich Dir nicht geschrieben habe, und doch liegst Du mir immer in den Gedanken. Auch wir haben lange keine Nachricht von Dir, doch hoffe ich morgen oder übermorgen auf einen Brief . Möchtest Du doch ganz wohl und heiter sein, meine Odilie, das ist mein Gebet und mein innigster Wunsch. Deine Briefe haben bis jetzt jede Besorgnis beruhigt, möchten sie ferner alles das bestätigen was die früheren versprachen. Zufriedenheit, Heiterkeit, Gesundheit! Manchmal denke ich daß Deine Sehnsucht nach uns sehr zu nimmt, und dann werde ich beklommen. Schreibe ja das nächstemal recht ausführlich über Deine innersten Empfindungen. Ich will weder dich leiden lassen, noch unnöthige Opfer bringen. Bist Du glücklich, und lebst von Einem Tage zum Andern in sorgloser Fröhlichkeit und in dem Interesse an Deinen kleinen selbstgewählten Arbeiten dahin, so brauche ich die Reise zu dir nicht allzu sehr zu übereilen. Sehnst Du Dich aber, so |2 daß bei alle dem ein gewisser Schmerz Dich begleitet, so muß ich eilen Dich zu sehen. Gern hätte ich vorher, erst eine Wäsche abgemacht. Den Einzug am 25ten Juli eines neuen Mädchens abgewartet, denn Marie kann kränklichkeits halber den Winter nicht bei uns bleiben, ich habe ein Mädchen von der Buchner gemiethet und noch manche Ausbesserungen in der Wäsche vorgenommen, denn durch die großen Arbeiten in des Vaters Abwesenheit, und zuletzt durch den Kragen für die gute Welden habe ich nichts anderes thun können. Meine Idee ist nun so: lese oder höre ich etwas von einem Retourwagen flugs will ich mich hineinsetzen, und zu meinem Odilichen eilen. Der Vater sieht es als dann auch recht gern, wo er mehr als anfangs hier wieder einheimisch worden ist. Er denkt sehr viel an Dich.

Bald wirst Du Weldens sehen, denn nach dem 22ten reisen sie nach Schlangenbad. |3 Die liebenswürdige gute Fanny freut sich hauptsächlich Dich zu sehen, auf die ganze Reise. Ich hoffe Du hast die ihr bestimmte Arbeit schon längst angefangen.

Der Vater ist gesund und heiter. Weldens baten ihn oft. g Vorgestern war ihre silberne Hochzeit wo ein Thée dansant gegeben wurde. Ich ging auch dahin, weil es ein so ausgezeichnete Veranlassung war. Die Herder spielt und tanzt nicht, und viele Freunde, unter andern die Gräfin Munster waren dort, weshalb man auf gute Unterhaltung rechnen konnte. Emma machte sich dazu ganz allein einen recht hübschen Anzug mit sehr künstlicher Garnirung überhaupt ist sie jetzt ungemein fleißig in weiblichen Arbeiten, und viel gewissenhafter in der Zeitanwendung, weshalb ich sie loben muß. Otto hat der Vater auch besucht, und sie sind herzlicher gegeneinander als sonst – möchte es von Dauer sein! Dem Vater gefällt Otto’s |4 Wohnung außerordentlich, wie wird sie Dir gefallen, wenn Du sie siehst.

Ob man mit der Herder recht herzlich werden kann, weiß ich noch immer nicht recht. Sehr klug und gebildet und angenehm ist sie, und wird sehr gesucht, denn alle Menschen finden sie höchst liebenswürdig. Er scheint sehr glücklich zu sein, und hat Dich sehr lieb, gute Odilie. Alle Menschen fragen noch unaufhörlich nach Dir, und Jeder will wissen ob Du wohl und glücklich bist. Wäre nur erst wieder Gelegenheit da, Dir einen Kuchen zu schicken jetzt werde ich sehr aufmerksam darnach fragen.

Fr. v. Plathow und Mathilde sind jetzt hier. Die Güte der Ersteren ist außerordentlich aber ihre Einrichtung macht ihnen sehr viel Mühe – wie bedaure ich die kränkliche Frau in ihren noch ungemalten kahlen Wänden und ihren unmeublirten Zimmern.

|5 Helenens Vater ist eben mit der Stein hier gewesen, ein General; Er sieht sehr gut aus, und ich kann mir Helenens Liebe zu ihm denken. Er ist aber sehr kränklich. Er hat die Stein gebeten mit Helene zu ihm nach Weimar zu kommen, und sie werden es thun. Heute fahren sie auf die Eremitag und vielleicht der Vater, oder wenigstens Emma, mit ihnen.

Jetzt habe ich Dir recht viel Neuigkeiten geschrieben, meine Seele! Könnte ich nur auch von Dir wissen, wie es mit Deinem Gerader werdenRücken und mit Deiner Hüfte geht. Oft möchte ich an Heyne selbst schreiben, um es zu erfahren. Sei doch ja im nächsten Briefe darüber recht weitläuftig. Jetzt, nach 3 Monaten kann eine merklich Änderung, merklich sein. So wie ich nur das vernehme, werde ich Hofnung haben, daß Du ganz gerade werden kannst. Wie ist Dein Aussehen |6 bist Du stärker und röther geworden? Bist Du gewachsen? O sage es doch ganz unparteiisch als wenn Du von einer dritten Person sprächest. Gott wie wird es mich entzücken wenn ich Dich geliebtes Kind wiedersehe. Aber sprich nicht viel davon zu den andern denn ich will kein Entgegenfahren, man verfehlt sich leicht, und ist voll ängstlicher Erwartung. Issest Du denn recht viel Obst? Hier giebt es einen nie gesehenen Überfluß an Kirschen, wie viele und schöne mögen erst dort in dem reichen Obstlande sein. Kaufe Dir doch selbst, wozu Du Appetit hast. Morgen werde ich allerlei einmachen da Markttag ist.

Daß Du nie ins Theater gehst, wenn es nämlich den ganzen Sommer dort eines gibt, thut mir sehr leid – doch ist weniger Versuchung für Dich vielleicht in der |7 Abwesenheit von Veltheims . Charlotte Veltheim ist jetzt in Dresden engagirt. Lichtenstein mit seiner Frau ist auch dort und sie haben den Vater gesehen. Gestern schrieb Minona an den Vater einen allerliebsten Brief , sie ist seitdem bei einer Familie Schwarz auf dem Lande auf 14 Tage gewesen die sie sehr zu lieben scheinen. Meine Schwester schrieb mir gestern noch Manches von dem Aufenthalt des Vaters dort, was mir kein anderer Mensch sagen könnte, welches mir sehr wichtig ist. In der Abendzeitung steht ein Gedicht unter dem Titel "Nachruf an Jean Paul" von einem geistvollen Mann den der Vater oft gesehen – er heißt Kuhn. Weißt Du, daß Bach, wirklicher Oberst geworden ist? |8 Den Umgang mit Henriette Bach habe ich sehr einschränken müssen. Der Lieutenant Dietsch will Henriette heirathen ohne es noch den Eltern gesagt zu haben, und Emma ließ sich zu Bestellungen zwischen beiden hinreißen. Bei einem Abschiedsbesuch vom L. Dietsch vor einerden er mir Reise des L. Dietschmachte entdeckte ich unvermuthet das lang angesponnene Geheimniß. Emma verstellte sich wider meine Erwartung ungemein – sie hielt solche List, der Freundinn zu Liebe, für erlaubt. Du kannst denken, daß ich eines so unbedeutenden und flachen Wesens wegen, als Henriette ist, nicht die Wahrheitsliebe eines Kindes zum Opfer bringen kann – also verbot ich jeden Umgang. Emma scheint ihren Fehler einzusehen den sie aus falscher Tugendhaftigkeit begangen hat, und ich hoffe daß sie nie wieder ohne mein Wissen Verbindungen unterstützen wird, deren Gutes oder Schlimmes ihre Unerfahrenheit nicht beurtheilen kann, Sie darf nun nicht mehr in die Singstunde. Der Vater weiß allesschreib aber nichts davon, es würde Emma die jetzt sehr gut ist, kränken.

Nun lebe wohl, liebste beste Odilie, ist die Falk nicht mehr da? Tausend Küsse

von deiner Mutter,

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Odilie Richter. Bayreuth, 5. Juli 1822, Freitag . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0571


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S.


Korrespondenz

A: Von Odilie Richter an Jean Paul und Caroline Richter. Würzburg, 6. und 7. Juli 1822, Freitag und Sonnabend (4. Abt., Bd. VIII, Nr.185)