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Baireuth den 10ten Dec
1820
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Geliebter Max!

Schon längst wollte ich Dir schreiben, Deine Worte an mich im vorletzten Briefe trafen mich freudig und es wurde mir schwer Dir nicht gleich im Augenblik wieder zu antworten, jetzt halte ich es nicht mehr aus, und wenn gleich der gute Vater noch erst eine Weile warten will, so muß ich das Schweigen brechen. Lieber guter Max möchte es Dir immer so gut gehen, als Du in Deinem letzten Briefe versicherst. Dein Beisammensein mit Deinem Freunde Merk freute mich außerordentlich, da Du ihn so liebst, und schon lange kennst, und ich bin beruhigter daß ich Deine einsame Wohnung durch ein mitlebendes mit empfindendes Wesen erwärmt weiß. Gott erhalte Dich nur gesund! Hier herrscht stark das Scharlachfieber – außer mehreren Dir gleichgültigern Jünglingen Mädchen und Kindern starb auch der 16 jährige Sohn des Baudirektor Riedel am 8 d. M. O wie hart ist das Schicksal solcher Eltern – möge Gott es uns nie empfinden lassen! – Emanuel war drei Wochen in München, er war bei M. Lerchenfeld, bei Schlichtegroll, und Schadens , er brachte dem Vater das Diplom eines Ehrenmitgliedes der Akademie, und 100 fl.

|2 Der liebe Vater erwartet nun, bevor Du neue Einnahme erhältst eine Rechnung Deiner sämtlichen Ausgaben, ich gebe Dir davon absichtlich Notiz damit Du nicht etwan vergeblich wartest und in Verlegenheiten kömmst. Am 23ten kommt der junge Welden mit seiner Schwester hieher. Der Wagen der ihn holt, soll für Dich, meine Seele einige Kleinigkeiten mitnehmen deren Porto von Baireuth aus zu kostbar wäre. Du setzest doch durch Briefe Dein schönes Verhältniß mit dem jungen Welden fort, da er so ein herzlicher edler Mensch ist. Leikam sagte mir, daß er sich noch nicht ganz in W. gefiele. Miedel dagegen in Leipzig recht sehr, wohin sein Vater ihn nicht allein begleitet, sondern auch alle seine Verhältniße organisiert hat. Der alte Miedel ist fast selbst zum Studenten wieder geworden als er dort war, wenigstens haben sich die freudigsten Erinnerungen jener Zeit wieder erneuert.

Du wirst hauptsächlich wissen mögen, wie wir leben – ob der Vater heiter und wohl ist.

Allerdings wirkt der hier so finstre melancholische Winter nicht ganz gut auf ihn, allein im |3 Ganzen ist er gesund und bei der Erschaffung seines Kometen glücklich. Ich schenke auf Weihnachten dem Vater einem schönen Armstuhl, für dessen Bezug Odilie eine kunstvolle Blumenguirlande in Wolle näht. Die trübe Weihnachtzeit muß durch so etwas erheitert werden. Ein Baum muß Ihm geputzt werden wie Er sonst Euch that.

Übrigens macht es mich glücklich für den Vater ein altes Registerbuch abschreiben zu können, ich hoffe es vor Weihnachten fertig zu bekommen. Ich bin lieber dabei als in der größten Gesellschaft, weil der Gedanke daß der Vater die regelmäßig geordneten Buchstaben bei seinen Arbeiten, vor sich haben wird mich glücklicher macht als Alles. Immer mehr lebe ich blos in seiner Liebe in seiner Zufriedenheit und bald wird auch Alles Andre nicht die geringste Gewalt über mich haben. Sonst ist es hier brillant auf Baireuter Weise. Die Sommergesellschaft hat ihren Anfang genommen, an der mich vorzüglich ihre liebe Schutzgöttin die liebe Fr. v. Welden intereßirt. Wie glüklich ist auch der Vater mit dieser Frau! Gestern Abend war sie ganz allein bei uns. Frau von Ende schrieb mir neulich und frug sehr nach Dir. Ach höre lieber Max! Barners geben mir den Auftrag mich bei Dir |4 nach einem Graf v. Ranzow zu erkundigen ein Hollsteiner der in H. studiert. Gib Dir alle Mühe und frage nach seinem Fleiß, seine Aufführung. Seiner Mutter ist so sehr daran gelegen. haben ihre Mutter verloren, ich sehe sie öfter als sonst. Sie sind recht edel und gut. So viele Besuche als damals bekomm’ ich nicht, mir ist wohler daß ich gesammleter sein kann, denn niemand kann stilles Arbeiten und die Ruhe mehr schätzen als ich. Der Herbst machte mir viel zu thun, aber jetzt bin ich doch zu einem Punkt gelangt der mich ohne Beängstigung läßt irgend etwas versäumt zu haben. Die Schwestern sind fleißig in Allem was sie thun und wir sind eigentlich recht glücklich.

Weißt Du das Julius Spatzier ein, in Riga angestellter Gouvernements Architect ist. Er wohnt im Schlosse des Gouverneurs und wird wegen seiner Talente und seiner Bildung ausgezeichnet. Ein herrlich geistvoller Brief ist in meinem Händen den ich Dir vielleicht einmal mitschicke. Wenn Ihr Euch jetzt sähet, wie würde er sich über Dich freuen! Gestern war Ottos Geburtstag der M. Thürheim gedachte zu Emanuel Otto 's mit dem Interesse, das den Wunsch ihn zu placiren ausdrükt. Mit Schrecken sehe ich mein Blat zu Ende – mir bleibt nichts als Deine SchutzEngel, Mutter und Sohn Voß zu grüßen

Gott erhalte Dich.

Deine treue Mutter.

Schelling ist am 7 in angekomen.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, 10. Dezember 1820, Sonntag . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0634


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Auf S. 4 Siegelreste.


Korrespondenz

A: Von Max Richter an Jean Paul und Caroline Richter. Heidelberg, 17. bis 19. Dezember 1820 (4. Abt., Bd. VIII, Nr.83)