Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 28. Februar 1803, Montag

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Meiningen den 28ten Februar
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Mein theuerster Vater

Ich kann es nun nicht länger aufschieben Sie um den Grund Ihres mir unbegreiflichen Stillschweigens gegen mich zu fragen, welches mich nun schon seit sechs Wochen beunruhigt, und welches ich früher gebrochen hätte, wenn nicht die Hofnung auf jeden nächsten Posttag mich hingehalten hätte. Nun scheint es aber als wollten Sie absichtlich schweigen, denn wie auch Ihre Verhältniße seyn mögen, so kenne ich Ihr Herz zu gut, als daß ich an Ihre Vergeßenheit meiner – glauben kann.

Wären Sie krank, so würden Sie es mir durch eine dritte Person gesagt haben, alle äußern Vorfälle konnten Sie nicht hindern an mich zu denken.

Es muß also ein innrer Grund vorhanden seyn, und so wenig ich es zu verdienen glaube, zürnen Sie mit mir.

Einen Irrthum der für mich so unendlich kränkend ist, daß er mich, nicht der Liebe meines Vaters, aber wohl ihrer Zeichen beraubt muß ich auflösen, und Sie müssen ihn mir nennen, damit ich mich rechtfertigen kann.

|2 Ich hatte während die Anzeige Ihrer in einigen Tagen zu volziehenden Verbindung an mich unterwegs war, einen langen Brief durch Matzdorf an Sie abgesendet. Ich beantwortete daher nicht auf der Stelle diese , sondern nach acht oder 14 Tagen darauf erhielt ich durch Ernestines Hand Ihr überraschendes Weihnachtsgeschenk ohne Worte von Ihnen, die mir noch theurer gewesen wären, und dankte Ihnen auf der Stelle, legte den Brief an Ernestine oder Minna ein die ihn sogleich absenden sollte: Ob Sie nun diesen nicht erhalten haben, und mich der Undankbarkeit beschuldigen muß ich fast annehmen, weil ich mich nur dieser scheinbaren Schuld gegen Sie bewußt bin.

Es macht mich sehr unglüklich, daß auch Sie vielleicht mein ewig geliebter Vater, in Rüksicht meiner, unangenehme Empfindung gehabt haben – so glüklich Sie seyn mögen – Ihre Kinder behaupten gewis ewig den Platz in Ihrem Herzen, den Sorge u Liebe u Aufopferungen so vieler Jahre ihnen eingeräumt haben. Dis ist nicht bloßer Glaube, sondern |3 Überzeugung, die jedes Misverständnis daher doppelt empfindlich macht.

Nun sag ich weiter nichts, bis ich wieder von Ihnen höre. Gott wird Sie durch Ihre Frau mit Glük gesegnet haben. Grüßen Sie Sie innig von mir – u glauben Sie daß ein eignes Kind die Gefühle für Eltern schärft.

Mein Kind macht mir unendliche Freude, seine Natur ist eine der kräftigsten, u es ist, ohne mütterliche Eitelkeit, gesagt eins der liebenswürdigsten Wesen, in drei Wochen wird sie ein halbes Jahr. Ich empfehle es Ihrer Liebe, u uns beide Ihrem Seegen.

Ihre
treuste Tochter
Caroline.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 28. Februar 1803, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0677


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 2¾ S. Auf S. 1 Datierung vfrH: 1803.