Von Rosalie von Voelderndorff an Caroline Richter. Erlenbach am Zürichsee, 28. Oktober 1811, Montag

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Erlenbach
Zürcher See den 28/10
1811.

Meiner Sehnsucht etwas von Ihnen theure Freundin zu hören schließt sich dießmal noch die einer Sie innigst liebenden Bekanten an, die Sie wohl leicht aus meinem jetzigen Wohnorte errathen werden; Mein Schiksaal welches seit Jahren so wunderbar mich treibt und drängt aus einem Land aus einem Verhältniß in das andere, hat mich seit 4 Monathen in ein Land versezt nach welchem immer mein Sinn in unbekannter Ferne, so lebhaft stand. Im Monath July machte ich mit meinem Onkel und Cousine Benzel eine sehr schöne Reise über Heidelberg, Carlsruhe, Rastadt und den Schwarzwald nach Basel. In Freyburg hatte ich die Freude Ihre Braun zu sehen welche noch immer so hübsch und liebenswürdig ist. Auch Sylly die wohl jezt verheyrathet seyn wird. Wir freuten uns unserer Landsmannschaft und sprachen viel von Bayreuth und gedachten Ihrer recht oft.

Von Basel, diesem merkwürdigen Eingang zu den Bergen und Thäler Helvetiens reißten wir nach mehreren Tagen sogleich nach dem Bade welches meinen Reisegefährten verordnet war. Es liegt im Canton Argau und heißt Baden. Wie leid thut es mir daß ich nur so oberflächlich eine Reiseroute angeben kan weil ich sehr viel interessantes gesehen und bemerkt habe was |2 meine ganze Seele erfüllt; allein keine Reise-Beschreibung soll dieser Brief werden sondern Sie sollen nur hören wie es geschah daß ich von den lieblichen Ufern unseres blaufluthenden Sees Ihnen zurufen kan wie sehr ich Sie Gute Theure liebe, und mit ungeduldigen Sehnen auf den Wiederhall harre, der mir die Töne Ihres Andenkens und Ihrer Freundschaft zurükbringen soll. –

Nach geendigter Cur in Baden blieben wir mehrere Tage in Zürich und besuchten auch an einen schönen Nachmittag Ihre Freunde Harmes auf ihren romantisch schönen Landsitze am See. Mir fiel bey dem Anblik dieser Villa Ihr Ärger über die Ungenügsamkeit dieser Frau bey uunserer Ermitage und Phantasie ein – und ich begriff wie ärmlich und beschränkt sie dem erscheinen müssen, dessen Phantasie an einer solchen Natur hängt. Mich ergriff es wunderbar an diesen lieblichen Ufern der spiegelnden Wasserfläche, im Angesichte der Alpenkette am jenseitigen Ufer, und den Purpur Glanz der Gletscher welche die sinkende Sonne gerade an diesem Abend so herrlich schön erleuchtete. Ich mußte weinen, und denken an Alle mit denen ich so gern diesen Anblik getheilt hätte. —

|3 Dieß wäre ein herrliches Asyl für den der alles verlohren hätte dachte ich bey mir selbst, wie viel fände er da wieder in Gott und seiner Schöpfung!

Wir verließen Zürich wieder um die kleinen Cantons weiter zu bereisen. 14 Tage lang giengen meine Cousine und ich nebst einen erfahrnen Schweitzer über Berge und Thäler zu Fuß, während die andern fuhren, um alles was die Gegend und das Volk merkwürdig und anziehend hat desto ungestörter und näher zu betrachten.

Unvergeßlich werden mir die Eindrüke dieser seltenen, unvergleichlichen Naturformen seyn, die auf den Gipfeln der Alpen, in den üppig grünenden Thälern und auf den dunkel wellenden Seen sich mir einprägten.

Auf den Vierwaldstädter See, in Unterwalden vorzüglich, den Schauplatz so schöner Thaten der Vorzeit weilten wir mit hohen Genuß. Eine feyerlich süsse Begeisterung ergriff mich insbesondere als wir in Tells Kapelle landeten die einfach und edel zwischen schroffen unerreichbaren Felswänden der Zeit und der Zerstöhrung trozt. Das herrlichste Wetter begünstigte unsere Wanderung und mit schweren Herzen rißen wir uns von diesem allem loß um nach und von da nach Deutschland zurük zu kehren und in der Erinnerung noch hohe Freude zu haben. |4 Unser Weg gieng vor dem Garten der Harmes vorbey in welchen wir sie beschäftigt sahen, und nachdem wir ihr einen guten Morgen gesagt, nöthigte sie uns ein Stündchen bey ihr auszuruhn, während welcher sie, als ich so entzükt über die Gegend sprach mir wie im Scherz sagte: Bleiben Sie doch ein Weilchen bey uns, liebe Rosalie Frankfurth ist nicht so weit von hier und wir wollen Sie sicher wieder hinbringen. Sie bat darauf recht angelegentlich meine Cousine, die Erlaubniß von meinen Onkel zu erbitten und nach einigen gehobenen Schwierigkeiten ward sie mir ertheilt.

Seit 2 Monathen ist meine Reise Gesellschaft zurükgereißt und ich bin zurückgeblieben zwischen 2 Menschen die ich sehr, sehr schätze und liebe und die alles thun um mich froh und glüklich zu machen. Die Laage des Landguths unsere Beschäftigungen, kurz dieses Landleben in der Umgebung hat der stillen Freuden so viele, die mein Herz vergeblich in den steifen Fernen der Stadt sucht; und auch die Annäherung des Winters macht mir nicht bange. Nun genug von mir, da Sie geliebte Freundin nur einzig in diesen Briefe walten solten. Sie haben doch hoffentlich meinen lezten Brief erhalten? |5 Ob Sie noch in Bayreuth sind? und wie es Ihnen und allen lieben Ihrigen geht, sehnt mich so sehr zu wissen. Wie oft sprechen wir von Ihnen; Meine mütterliche Freundin liebt Sie recht innig und trägt mir auf es Ihnen zu wiederhohlen, und sie zu fragen ob Sie denn ihren, gleich nach ihrer Ankunft in der Schweitz Ihnen geschriebenen Brief nicht erhalten hätten, weil sie immer so vergeblich Antwort gehofft habe. Auch Herr H. grüßt Sie beyde recht freundschaftlich. Sind wohl Otto's noch in B? Ich höre immer von einen Brief sprechen den Herr H ihm schrieb im Frühjahr d. J. und worauf er auch keine Antwort erhielt.

Haben Sie ein Stündchen sich errungen, etwa an einen Sontag Nachmittag, so opfern Sie es mir, wie so manches schöne das ich Ihnen raubte um es meinen Herzen zu geben. Was macht Ihr guter Man, mein treuer, lieber Freund? Ihre Kinder kurz alles was Ihnen angehört. Ich weiß so gar nichts mehr von B. und lebe doch noch so gern mit fort, dort wo mich das Leben rosig und trübe zugleich ansprach. Erst ganz kürzlich erfuhr ich den Verlußt den meine Schwester an ihren herrlichen Knaben erlitt. Es hat mich tief erschüttert und ich bitte Gott er möge trösten diese sanfte Dulderinn die so frühe schon so harte Prüfungen zu bestehen hat. Überhaupt wühlt der Zeiten Strom gewaltsam in unserer Familie. Keine frohe Nachricht enthält |6 so leicht ein Brief aus der Ferne für mich. Deßwegen halte ich so fest an dem Sinn für jedes Guth einer frohen Gegenwart die Einfalt und Natur weiht zum reinsten Lebens Genuß.

Die nun geendigte Weinlese war überaus geseegnet und der Jubel der von allen Bergen erschall, die Menge von Schiffen die Gottes Gabe den See entlang vorführten tönte recht melodisch meinem Ohr und erfreute mein Auge. Meine beyden lieben Hauß Genossen und ich wir machten uns auch den Spaß einen Bogengang allein zu wincen, wovon wir 10 Eimer Wein erndteten. Man gieng auch vorher mehr im Schatten der Trauben als der Blätter. Was uns oft sehr leid thut ist daß die Gesundheit der armen H. sehr gestört ist. Sie ist vorzüglich jezt sehr leidend und hat oft hypochondrische Zufalle. Wir lesen viel zusammen und überhaupt möchte ich nur immer im Stande seyn sie zu erheitern und ihr dadurch recht beweisen wie herzlich ich sie liebe und verehre. Wie gut und liebenswürdig Herr H sich gegen mich benimmt kan ich nicht beschreiben, und das Verhältniß zu diesen beyden Menschen ist eine schöne Erscheinung in meinen Leben.

Nehmen Sie mit allen den Ihrigen einen treuen |7 Schweitzer Gruß von Ihrer entfernten Freundin und erfüllen Sie Beste, Liebste wie immer die Bitte

Ihrer

Rosalie

Zitierhinweis

Von Rosalie von Voelderndorff an Caroline Richter. Erlenbach am Zürichsee, 28. Oktober 1811, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0703


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 6 S., 4 Z. Auf S. 8 Adr.: An | Frau Legations Räthin Richter | Wohlgebohrn | zu Bayreuth. 1. Stempel: AUSLAG 6 VON | ZURICH. 2. Stempel: ZURICH | 28. OCTB. 1811. Siegelreste, Siegelausriss.