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Korrespondenz

Von Heinrich Voß an Henriette von Ende. Heidelberg, 20. September 1817, Sonnabend

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Heidelberg d. 20. Sept. 1817

Hier, verehrte gnädige Frau, eins von den Billetchen , wie ich sie oft manchmal von unserm theuren Freunde bekam. Aber es steht kein Name darunter. Verbürgen Sie mit der Unterschrift des Ihrigen, daß es in der That seine Hand ist. Zwei dieser Billetchen, die irgend ein Gefühl oder einen Gedanken enthielten, hab' ich meinem Bruder Abraham, meinem Shakspeargenossen , geschenkt; die andern zwei sind angezündet, um eine Pfeife in Brand zu stecken (man nennt das in der Kunstsprache: zu Fidibus verbraucht), und ich versichere Ihnen, diese beiden Pfeifen schmecken noch einmal so gut, als mit prosaischem Papier angezündete.

Sieht man doch aus diesem Billet, daß der Empfänger ein guter Kofferpacker war, d. h. im Vergleich zu Jean Paul; denn absolut betrachtet, bin ich ein sehr schlechter. Aber Jean Paul – Hilf Himmel! das Chaos, ehe die Welt daraus hervorging, kann nicht verworrener ausgesehn haben, als sein Köfferchen, wie er nach Mainz abging . Ich bin der wahre Wohlthäter seiner Kleider geworden, und machte eine rechte Kennermiene dabei; schrieb ihm auch nach Mainz hin, er |2 solle ja eine klassische Hand zu Hülfe nehmen, damit seine Kleider nicht in genialer Romantik untergingen.

Das Billet enthält ferner ein: Hier! ein vorzüglich inhaltschweres Wort, zu dessen Erklärung, und, wie Shakspeare sagt, "süßem Verständnis" ich zwei Dinge von der höchsten Wichtigkeit voranschicken muß.

1) Meine Magd fragte mich einmal, Jean Paul meinend, was denn das eigentlich für ein Mann wäre, den wir alle "so schrecklich honoriren thäten", ob es etwa ein Graf wäre. Ich sagte ihr darauf, ein rechter Graf wär' es freilich nicht, aber solch ein berühmter Mann, daß er hinkommen könnte, wo er wollte, man würde ihn auf Händen tragen, daß ihn die Hottentotten und die Indianer honoriren würden, daß er, mit einem Wort, der berühmteste Mann wäre auf Erden. Seit der Zeit hat sie mich alle Augenblicke gefragt, ob ich keine Bestellung an den berühmten Mann hätte; ja, als ich einmal einen Koffer durch einen Tagelöhner hinschicken wollte, ließ sie sichs nicht nehmen, ihn selbst hinzubringen.

2) Jean Paul zeigte mir wenige Tage vor seiner Abreise ein neu erschienenes Buch, worin der Nachdruck moralisch vertheidigt ist , und bat mich dringend, Buch und Verfasser so stark und kräftig zu geißeln, wie ichs manchmal, all meiner gerühmten Gutmütigkeit zum Troz, zu thun pflege. Nun lag das Buch noch bei Jean Paul, als eines den Morgen darauf die Magd fragte: "Haben Sie was zu bestellen an den Herrn?" – "Ja", sagte ich, "trage sie dies Billet hin, er wird ihr ein Buch geben." – "Und darf ich das Buch Billet dem Herrn selbst geben" – "Ja freilich", sagt' ich, "sonst könnte das Buch verloren gehn".

Nun denke man sich: Jean Paul sizt auf dem Sopha, ist über Heinrich Voß ärgerlich und verdrießlich, weil er denkt: "Der verwünschte Mensch hält sein Wort nicht, und ist oben drein so lau, daß er das |3 Buch nicht einmal lesen will. Ich werde als Bekämpfer des Nachdrucks im Buch vier bis fünfmal ironisch der große Hans Paul genannt, und bekomme Hiebe über Hiebe, Pillen über Pillen. Himmel! er will sich meiner nicht annehmen! ist das Brüderlich! ist das menschlich! ist es nicht vielmehr kannibalisch! Nein, ich muß dem herzlosen Menschen die geschenkte Freundschaft entziehn!" – Da trit die Magd herein mit dem Billette. Jean Paul liest, alle Wolken des Argwohns sind auf einmal zerstreut; das Herz öfnet sich wieder, und bricht aus in einen freundliche m n Morgengruß, und der liebe Bruder gesellt sich hinzu als Zeichen der inneren Versöhnung. "Hier!" schreit er der Magd fröhlich entgegen; die Linke reicht mit hastiger Bewegung das Buch, und die rechte verewigt in dem selben Moment das lakonische "Hier!"

Auch das "wieder" hat seine Bedeutung, die aber schwer zu fassen ist. Es liegt darin zugleich: " Halte Achte meine Anhänglichkeit an Paulus nicht für zu groß", und: " Halte Achte meine Anhänglichkeit an Schwarzens nicht zu geringe". Es liegt noch allerlei darin für den, der in Jean Pauls Seele zu blicken weiß.

Und nun am Ende das Buchbinderkästchen! Ich hatte ihm eins bestellen müssen, worin er ganze Bogen und B ü u cher Papier hineinlegen wollte. Ich war gewiß in meiner Beschreibung genau zu Werke gegangen; aber der Meister war nicht zu Hause gewesen. Wie ich komme, das Kästchen zu holen, siehe da, es waren allerliebste Fächerchen darin gebaut für Tausend Kleinigkeiten. So es anzuordnen, hatte der Frau Meisterin das Rechte gedaucht. Nun mußte in Eile ein neues Kästchen verfertigt werden. Und Jean Paul? – Es regt sich wieder ein bischen Argwohn in seiner Seele, Heinrich Voß möchte seine Bitte vergessen haben. Daher das Fragezeichen. – Eine Stunde nach Empfang dieses Billettes brachte |4 ich ihm das Kästchen im Triumf.

Hier, verehrte gnädige Frau, eine Belebung des scheintodten Billets, und zugleich eine kleine Probe, wie wir Gelehrten die Alten commentiren. Alles ist todt, wie die Schatten in der Unterwelt. Wenn S s ie aber Blut kosten, das wir ihnen reichen, sogleich leben und sprechen sie, und ein Tiresias profezeit sogar. Machen wirs aber unvernünftig, und lassen sie wieder zu Ader, gleich sinken sie wie Eurydice zu den Schatten zurück. Damit dies nicht mit meinem Jean Paulsbillet geschehe, lassen Sie es unzertrennt ruhn bei diesem Commentar.

Noch eins: Als Dörnberg zum erstenmal bei mir gewesen war, fragte meine Magd: "Das wäre doch wohl ein Graf!" – "Nein", sagte ich, "es wäre ein Fürst, und der berühmteste Mann in Deutschland". Worauf sie: "Gotts Wetter!" antwortete. Nun bitte ich Sie, gnädige Frau, haben Sie Mitleid mit dem armen Mann. Alles belügt ihn, sogar seine Freunde. Sie, gnädige Frau, thun ihm viel zu viel; ich im Andern Sinne viel zu viel; und [...] endlich die Magd in noch anderm Sinn viel zu viel.

Und nun zum Schlusse: [...] M uß ich mit Ihnen über meinen militärischen Jean Paul leider! entzweit bleiben; desto fester bleib' ich mit Ihnen vereint in dem wirklichen. Gott segne den herlichen Mann, und Sie, gnädige Frau, daß Sie ihn so lieb haben.

Mit Ehrfurcht nenn ich mich, gnädige Frau, ganz den Ihrigen

Heinrich Voß.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Henriette von Ende. Heidelberg, 20. September 1817, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0704


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Textgrundlage

H: GSA, 96/3094
1 Dbl. 4°, 4 S.

Überlieferung

D: Hesperus, Bd. 13, H. 23, S. 10–13.