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Meiningen den 18ten März 1811.

Verzeihen Sie, guter Emanuel! daß ich meinen Dank für die freundlich zarten Worte Ihres lezten lieben Briefes so lange zurückhielt; allein ich wollte so gern Ihre Sorge [...] ob ich die jüngste Schrift von Schmid gelesen – mit Ja beantworten und doch lag auf allen deßhalb gegebenen Commissionen ein so eignes Mißgeschick, daß ich erst seit Vorgestern in den Stand gesezt worden bin, Ihnen etwas darüber zu sagen.

Ich kenne nur wenig Menschen von deren Nachsicht und wahrheitsliebender Zurechtweisung ich mein Urtheil als Belehrungs bitte äussern möchte; doch ist es mir dann allemal hohe Freude, wenn es so zuversichtlich wie bey Ihnen geschehen kann.

Den Eindruck, welchen Schmid's Aeusseres auf mich machte, finde ich in seinem Buche bestätiget. – ich sah ihn nehmlich in Iferten ohne ihn sprechen zu können – Er erschien mir kraftvoll, wahrheitsstrebend, einseitiggebildet, unerfahren, roh, und sein liebender Sinn irgendwo verletzt. Die beyden ersten Eigenschaften äussern sich mir so unverkennbar in dem vorliegenden Werk als sich mir die letztern deutlich darin aussprechen.

Ich hoffe nehmlich daß das Werk seine Existenz den beyden erstern verdanke, doch zeigt es von grosser Unerfahrenheit längst bekannte – doch bis jetzt im Allgemeinen unausführbare [...] Wahrheiten |2 in einem so unvortheilhaften Gewande – auf Schmid's Standpunkte, offentlich zu sagen, der ihn mir, nach meinem Gefühl, als undankbar charakterisirt. Rohheit und ein verletztes Herz offenbaren sich mir wenn er zulezt, der allgemeinen, unreifen Auslegung Ansichten anvertraut, die nur für das Forum des Freundes gehören, als unnatürlicher Sohn gegen einen Vater auftritt, dessen ehrgeizloses uneigennütziges Wesen, dessen Herz voll Liebe er nicht begreifen konnte und sich selbst dadurch ächtete . Nach meinem Gefühl hat sich Schmid bittere Reue bereitet und ich wünsche von Herzen daß er bald enttäuscht werde, damit die Zeit nicht verrinne in welcher der Sohn den Vater noch unter den Lebenden aufsuchen kann, und seine Reue ein gültiges Sühnopfer, in sich selbst, an der Brust des Vaters finde.

Ich fühle eben wie unbeholfen ich den Eindruck des genannten Buchs wiederzugeben vermag. Doch als Zeuge meines Vertrauens zu Ihrer Nachsicht und Güte wage es seinen Platz zu behalten.

Unsere Karoline hat mir einen gar lieben Brief geschrieben und ich darf Sie, guter Emanuel! wohl bitten die Antwort durch den Ueberbringer zum freundlichsten Dank zu reichen.

Innig theilen wir den Schmerz über die frühe Trennung des sanften Dobeneks von den Seinen. Möge jener höhere Beystand, der das Unerträgliche |3 tragen hilft und da tröstet wo kein menschlicher Trost hinreichet, die Hinterlassenen stärken und namentlich den Schmerz der Gattin lindern deren Loos ich unsäglich hart finde.

Alles was Sie in Meiningen lieben ist heiter und so gesund als möglich. Die Geschwister sind bey dem schönen Wetter emsig mit ihren neuen Berganlagen beschäftigt, welche so nahe an der Stadt, wohl zu den reitzendsten Besitzungen gezählt werden dürfte. Das kleine Engelsgesichtchen Reinhold spielt dort mit seinem jüngsten Schwesterchen Antonie wie Berggenien. Paulinchen ist ein fröhlich fleissiges sanftes Mädchen. Amandens Rückkehr so wie die ganze Reise scheint ihre Ansichten erweitert und berichtiget zu haben. Alles liebt Sie und will Ihnen empfohlen seyn. Hoch erfreuen würden Sie uns mit der Hoffnung Ihres Besuchs. Können Bitten etwas zu diesem Ihrem Entschluß beytragen, so so moge Sie jeder heitere Tag, jede Frühlingsluft bittend ansprechen und Sie bewegen unsere Wünsche zu erfüllen.

Leben Sie wohl, lieber Emanuel! und schenken uns fern oder nahe Ihr liebendes Andenken

Antonie

N S Als ich den 19ten an unsere gute Caroline schreiben wollte um den Brief an diese, hier beyzulegen erhielt ich durch Henriette die schmerzhafte Bestättigung einer mich schon lang quälenden Ahndung des Todes meiner vorjüngsten Schwester Friedericke, welche mir 14 Tage vor ihrem Tode in einem, ihrem edlen Wesen entsprechenden Briefe , ihre 3 zurückgelassenen Kinder und die Pflege des Vaters vermacht – wenn nehmlich meine Kräfte und mein Gefühl ihrem Vermächtniß entsprechen sollten –. Friedericke starb in Wochen mit einer großen verborgnen Sehnsucht nach ihrem ältesten Kinde, wie sie mich immer zu nennen pflegte, und bittet mich auf Flügeln zu den mutterlosen Waisen zu eilen – –

Mehr als jehmals bedarf ich jezt treuer Freunde, da ich in Breslau, alles vermisse was es mich sonst ertragen lehrte. Eltern und Geschwisterlos, stehe ich Verwaist unter den Menschen. – –

Gott wolle meinen Willen segnen! – –

Uebermorgen als den 23ten März reise ich von hier ab. Meine arme Jettchen ist unbeschreiblich betrübt – – sie hatte sich so an das Bewustseyn mich froh zu machen gewöhnt daß ihr Herz jezt einen doppelten Verlust erleidet – – –

Lieber, guter Emanuel! wenn Sie können so kommen Sie zum Trost der trauernden Schwester

Ihrer


treuen Freundin
Antonie

Zitierhinweis

Von Antonie von Mützschefahl an Emanuel. Meinigen, 18. und 21. März 1811, Montag und Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0706


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl., 4 S. Blattnummerierung vfrH.


Korrespondenz

Präsentat: 9 Oct. beantw. (nicht überliefert). Zur Datierung: das zweite Abfassungsdatum ergibt sich aus dem Nachsatz des Briefes, der zwei Tage vor Antonie von Mützschefahls Abreise nach Breslau am 23. März 1811 verfasst wurde.