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Bayreuth, 26. Juli 1822.

Ich muß Dir eine große Neuigkeit erzählen, die mich den ganzen Morgen schon beschäftigt und erfreut. Denke Dir Marie Schubärt ist die Braut des Herrn Doctor Eichele! Kannst Du Dir das denken? In Hof künftig zu leben, ohne Ansprüche an die Welt, blos in Erfüllung häuslicher Pflichten, und einen Bürgerlichen zu nehmen? Marie, die an jedes drei Wort lange Billet ihr „von“ als viertes hinzusetzte, und als fünftes Rad am Wagen nachzog! Aber gib acht Fanny, gerade die Standesverschiedenheit wird für den phantastischen Kopf ein Beweggrund mehr sein: der Gedanke, aus Liebe ein Opfer zu bringen, wird es gar nicht als solches erscheinen lassen. Wenn Sie es nur in der Zukunft nicht bereut! Wer weiß, ob es nicht vielmehr das Romantische ist, den Arzt ihrer Schwester und ihren eigenen zu lieben, als wahre Neigung, die sie für ihn bestimmt.

Aber ich will jetzt davon aufhören, denn am Ende kaue ich alle Deine Gedanken Dir hier vor. Nur das will ich Dir sagen, daß ich mich sehr darüber freue, und daß ich nach dem Grund davon suche. Solch' phantastische Personen, wie ich, dürfen sich in nichts trauen und haben auch nicht den Muth dazu. Wahrscheinlich finde ich es recht schön, eine Freundin sich verheirathen zu sehen; wenigstens richtet meine Phantasie ihr schon den ganzen Haushalt ein.

Ich hatte Klavierstunde gehabt; unterdessen fand der Vater meinen Brief und las ihn; er tadelte mich, daß ich so über Mariens Charakter gesprochen. Er weiß nicht, daß wir es oft so thun, und daß Du mich nicht verkennst, wenn ich Alles das sage. Aber er hat doch Recht, und bei Anderen will ich es mir merken; Du denkst eben so wie ich, da durft ichs schon sagen. Es ist ein Unglück, daß ich Marie so durchschaue und gewiß eher, als sie, die Triebfedern ihres Handelns errathe; aber ich grüble bei mir selbst so nach, daß ich es mir auch bei Anderen angewöhne. Mich ärgert der ganze Brief; sage mir aber doch, wie er Dir vorkommt. Ich bin auch böse über mich und kann mich gar nicht aus mich herausfinden.

Zitierhinweis

Von Emma Richter an Fanny von Welden. Bayreuth, 26. Juli 1822, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0708


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Textgrundlage

D: Emma Förster, S. 7–8.