Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Freitag den 26ten Oct: 1822.

Liebe Emma! Gestern erhielt ich Deinen Brief . Vieles darin war mir unerwartet. Z. B. daß der Vater Odilien könnte bis Frühjahr hier lassen. Zweitens daß er meine Rückehr nicht verlangt. Ich habe nun ganz nach dem Prinzip gehandelt, in Allem die Mittelstraß zu verfolgen, weil Übertreibung auf der einen oder andern Seite keinen Seegen bringt, und Heinen Odiliens Hierbleiben, welches ich anfangs ohngefähr bis Anfang Nov. gedacht, bis Weihnachten eingeräumt. So gering der Unterschied ist, so befriedigt er doch den Eigenwillen dieses Mannes, den ich schwerlich sonst zur Loslassung Od . auch um Weihnachten gebracht haben würde.

Wie irre man aber wird, wenn nun auf der anderen Seite, unerwartete Willfahrung unserer früheren Foderungen eintritt, wie beim Vater so daß ich nun zweifeln könnte ob ich recht gehandelt O wenn man allwissend wäre! Indessen glaube ich doch, es ist besser, meinen jetzt beschloßenen Vorsatz auszuführen. Alle Äertzte versichern mich, daß wenn man die Maschinen hätte und das Bett, die Heilung eben so gut von statten ginge als hier. Du erinnerst Dich auch des Canzler Müllers |2 Sohn, er war 6 Monat hier, und seine Mutter setzte zu Hause alles fort, und er soll recht gut werden, eben so ein Fräulein Lichtenstein die ich nicht kenne. Jetzt da ich hier gewesen bin und alles so genau beobachtet habe, würde ich den Gedanken nicht ertragen können, daß Od . noch mehrere Monate hier bleiben sollte. Im Winter ist es bei Weitem nicht so angenehm als im Sommer, oder den mittleren Jahreszeiten und so gut die Mädchen sind, kann man sich keine größere Dürftigkeit geistiger Nahrung denken als hier. Der Vater hatte schon Recht wenn er manchmal darüber außer sich war. Zwar nehmen mehrere Mädchen Stunden, allein erstens unterbrechen diese [...] die körperliche Pflege, um derentwillen allein man doch hier ist, bedeutend. Zweitens haben die Mädchen so sehr den Ton der Ironie gegen die Lehrer der durchaus verderblich ist – und ihre Unterhaltungen untereinander sind ganz geistlos.

Ach wie wohl wird mir sein, wenn Od. wieder in unsrer Mitte ist, ich will alles für sie thun |3 was nur möglich ist, nur soll sie unsere Gesellschaft unsre Umgebungen, unsre Freunde wieder haben.

Ihr Körper wird recht gut – gewis wird sie eine hübsche Figur bekommen, und an ihrem lieben Gesicht besonders in Fanny's Filethäubchen habe ich meine innige Freude, sie hat gar liebliche Momente. Ihr Hals ist recht weiß, und es ist möglich daß die hohen Armstützen, doch nicht so gar sehr als ich Anfangs glaubte, den Bau der Achseln verunstalten.

Du gibst mir einen neuen Auftrag wegen des zu zahlenden Carolins. Wenn der Vater die Anweisung von 50 fl noch nicht abgeschickt, so stelle diesen Carolin noch mit hinein, denn ich, kann sonst nicht bezahlen. Hier lege ich die Rechnung meiner Ausgaben bei und noch habe ich keine Kost für mich bezahlt.

Beeile ja so schnell als möglich die Anweisung sonst kann ich nicht abreisen. Jetzt da ich Odilien genug genäht und geflikt habe, ist es mir hier unerträglich, besonders da ein störriges Zahnweh mich unaufhörlich quält, und nun Auguste wieder in Thätigkeit ist.

|4 Ich habe Od. einen neuen Mantel wie beikommene Probe gemacht, der allerliebst sitzt, und mit dem braunen Sammet eingefasst ist, den Du mir geschickt. Zweitens den alten braunen Merino Mantel mit dem in Dresden gefärbten Kleide ganz überzogen, und mit schwarzem Sammet eingefaßt, den sie täglich im Hause trägt. Drittens einen neuen feinen weißen parchent Unterrock, ein flanell Camisol für die Nacht, wo sie entsetzlich frieren, und ihren schwarzen levantine Mantel mit neuen Ermeln begabt. Jetzt ist sie wieder so gut und fest ausgestattet wie es sich gehört. Aus Freude, will ich sie zu ihrem Geburtstag mit einem rosa ecossais taffenthut , und einem leinen seiden Halstuch zu ihrem Geburtstag überraschen im Namen des Vaters, und Ihr braucht nichts herzuschicken. Gewaschen habe ich ihr auch und dadurch die Wäscherin suspendirt die gar zu theuer ist – 49 xr für einige Stücke, die man kaum sah, ist doch zu arg.

Du hast mir gar nichts von der Ankunft der Kiste mit den Zwetschgen geschrieben – sollte sie nicht angekommen sein? Und kam des jungen Weldens Hut noch zu rechter Zeit? Warum sollte ich des reichen Schwabachers Tochter etwas mitbringen, der ich einmal die schwere goldne Tuchnadel ohne Dank geschenkt! Nein! Aber die Magd soll ein paar warme Strümpfe bekommen. Bleibt gesund! Gott beschütze Euch.

Caroli

Ich stricke für den Vater ein paar Hosen von einer schönen Art grauer melirter Wolle

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Emma Richter. Würzburg, 25. Oktober 1822, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0711


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.


Korrespondenz

Zur Datierung: Der 26. Oktober fiel auf einen Sonnabend; Caroline Richter war vermutlich eher der Wochentag als das Datum präsent, also schrieb sie den Brief am 25. Oktober 1822.