Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
den 8ten July 1808

Ich kann unmöglich meine Briefe an Richters abgehen laßen, ohne einige Worte für Sie geliebter Emanuel mit anzuschließen. Die Post übergiebt Ihnen einen längern Brief, da ich aber weiß, daß unsre Richters, Ihnen die Briefe der Freunde mittheilen, so dencke ich soll es Ihnen nicht unangenehm sein einige eigne Zeilen von der Freundinn zu finden. Während ich nach Bayreuth schrieb, dünckte es mich, als lebte ich wieder ganz mit Allen meinen Theuren dort. In dieser Illusion war ich recht seelig, Emanuel! —

Meine Gesundheit ist jetzt gut und dafür dancke ich Gott; ich kann thätig seyn und selbst wenn mich eine gewiße Bangigkeit befällt, die ich zunehmend mir nicht gestatten darf, so hat mein Willen Kraft genug, sie zu bemeistern. In den ersten Tagen meines Hierseins konnte ich das nicht, im Allgemeinen sind wir doch – wenigstens ich –, recht abhängig von der irdischen Hülle! – – – – – –

Oft, recht oft, und von ganzer Seele, dencke ich Ihrer, Guter, könnte ich, nach vollbrachten Tagewerck zuweilen an Ihrer Seite, und an Ihrem großen Herzen ausruhen! – ich kann mir nichts dencken was mich inniger und wonnevoller beglücken könnte. |2 Doch, vollkommen glücklich, können wir auf der Erde nicht sein, über unsre Wünsche kann der Allvater nicht zürnen, aber Ergebung in das Unvermeidliche, und Unabänderliche, hat Er zu fordern.

Seit wir endlich wieder wärmere Witterung haben, habe ich einen Genuß mehr in meinem Hause , mit dem ich Sie, Lieber, bekannt machen muß. Ich bewohne in Demselben, die Rückseite nach dem Garten hinaus, meine Zimmer sind mit einer Gallerie umgeben auf welcher man bequem sitzen kann, und deren Aussicht über mehrere Gärten auf unsre Gebirge gegen Osten reicht. Am Tage kann ich sie wenig benutzen, weil ich mich theils im Zimmer mit Amanda und Pauline beschäftigen muß, theils für mich selbst Geschäfte habe, und dann meine Gegenwart in unsern Garten vor der Stadt nöthig ist. Am Abend aber, gegen 9 Uhr, da erfreue ich mich ihrer, bis 10 – öfters 11 – Uhr. Lili schläft dann schon, – ihr Bettchen steht unter dem Fenster vor welchem ich sitze, – Amanda übt sich, in meinem Wohnzimmer am Clavier für den Unterricht des andern Tages, Schwendler ist bey Antonien der er in dieser Zeit Sprach Unterricht ertheilt, ich bin allso durchaus allein, und dieses Allein- |3 sein, ist mir da ein wahrhafter Genuß. Mein Geist und mein Herz sammeln sich in heiliger Stille, ich darf hinzusetzen, im Angesicht Guttes! Ich bin keine Mond Heldin, Emanuel, an einen Abend aber, wie den gestrigen, der so mild, so sanft war, in den reinen silber satten Voll-Mond zu schauen, in das Sternen-Meer den Blick zu tauchen und in Gedancken bey den Fernen und Hohen Gelliebten zu seyn, ja dieß ist etwas überirdisches, es giebt keine Worte dafür Ich blieb bis 11 Uhr, zuletzt fielen mir von Kant, die herrlichen Worte ein (– Ich kenne nichts erhabneres als den gestirnten Himmel über mir und das moralische Gefühl in mir –) in langer Zeit hatte mich der Sinn dieser köstlichen Gedancken nicht so ergriffen. Wann werde ich einmahl mit Ihnen auf meiner Gallerie sitzen? Emanuel könnte Henriette nie stören! bedürfte ich besondrer Ruhe um mich zu sammeln, bey Ihnen fände ich solche am ersten.

Sagen Sie Uhlfelder, daß ich seiner oft in meinem Garten gedencke, wenn ich etwas arbeite oder vom frühern Fleiß erndte. Ich pflückte [...] Erbsen und band die vom Wind unter |4 einander geworfnen Rancken der Stangenbohnen an. Ich glaube unser Uhlfelder hätte sich gefreut wenn er der Freunde Freundinn als Gärtnerin gesehen hätte. Und noch eine Tandeley müßen Sie wißen, mein S. lacht schelmisch darüber, freut sich aber herzlich. In der Hoffnung, daß Sie, Guter, uns besuchen werden und vielleicht eher als der erste Ausspruch uns hoffen läßt, nun ja, in dieser süßen Erwartung mache ich schon jetzt einige Einrichtungen in dem Zimmer welches Sie bewohnen werden. Ich finde es selbst ein wenig kindisch aber ich gebe es drum nicht auf. An kleine Freuden knüpfen sich die größern am reinsten —

Leben Sie wohl, Theurer, ich sehne mich nach Antwort.Henriette.

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meiningen, 8. Juli 1808, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0726


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl., 3⅔ S. Brief - bzw. Blattnummerierung vfrH.


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 17. Juli 1808