Von Max Richter an Lorenz Heinrich Wagner. München, 17. November 1819, Mittwoch

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München am 17 Nov.
1819.

Theuerster Lehrer!

Die vielen Arbeiten, die ich hier nothwendig verrichten mußte und der Umstand, daß ich bis jetzt noch fast gar keine Zeit hatte, nur etwas für mich zu thun, mögen mich entschuldigen, daß ich Ihnen, th. Lehrer, nicht längst schon ein paar Zeilen zugesendet und ihnen von meinem gegenwärtigen Verhältniß u Lage gesagt habe. Doch glauben Sie gewiß, daß ich immer an Sie, an ihre letzten u immer währenden Lehren dachte. Glauben Sie, der Mensch lernt nur dann den Menschen recht schätzen, wenn er nicht mehr mit ihm in Verbindung ist.

Was ich Ihnen etwa schreiben kann, betrifft nur geringfügige Gegenstände, da ich ja erst seit Kurzem hier bin. Die Vorlesungen von Thiersch (über Kunstgeschichte und die Klassiker, wie Plato's Charmides, Tacitus, Pindar, Cicero, Horaz p) u die von Weiller (über Psychologie) sind die schönsten, doch auch die des Prof. Kopp über Universal |2 geschichte. Logik u Mathematik höre ich bei H. Prof. Meilinger u Späth. Außerdem nehme ich auch hebräische Stunden an, die wöchentlich 2–3 mal fallen; so daß ich täglich 5 öff. Stunden, außerdem aber auch das philol. Seminarium u jene hebräischen Vorles. zu besuchen habe. Mein Umgang beschränkt sich gegenwärtig auf sehr wenige, mit denen ich wöchentlich eine Zusammenkunft habe, worin ein Klassiker (Sophocles Ajax jetzt) gelesen u erklärt wird. Der Lateinische Schriftsteller soll erst gewählt werden.

Den treflichen Niethammer sprach ich zuerst bei Thiersch. Er läßt ihnen viel Gutes sagen und lobt besonders das Baireulr Gymnasium, das nur den Vorstand vermissen könnte. Die Rede fiel auf ihn (H. Kons. Degen)und der ehrwürdige Greis sagte mir, es könnte noch nicht seine Dienstentlassung erfolgen, weil kein Geld dazu da wäre, einen andern zu ersetzen; doch ich will hier nichts gewisses entscheiden; ich verstand ihn damals gerade nicht. Der gefällige Kiefhaber |3 läßt sich Ihnen u ihrer lieben Frau tausendmal empfehlen und fragte nach Rudolf u grüßt ihn ebenfalls.

Die Zahl der hiesigen Studirenden (auf dem Lyceum) beläuft sich auf 100.

Jährlich ist ein [...] sogenannter philol. Koncurs, dem künftige Philologen beiwohnen. Die Philologie hat hier ihren Hauptsitz. Studenten, die sich dem juristischen Fach in Erlangen gewidmet hatten, kehrten von ihrer Bahn zurück und hören Collegia von Thiersch: Sogar Studenten aus Heidelberg siedeln sich hier an.

Thiersch liest äußerst gründlich u pünktlich; eben so wol Kunstgeschichte als Klassiker. Im philol. Seminar werden Disputirübungen gehalten in lat. Sprache über Thucidydes, Pindar, Cicero, Horaz p. Des Platos Dialogen Charmides u Hippias d. A. und Tacitus Historien werden im Lyceum erklärt.

Zu meinem Hauptautor in griech Sp. habe ich Sophocl. gemacht, an dem ich, wie oben erwähnt wurde, in jener Zusammenkunft arbeite.

Die Acta Monacensia philologorum haben ihren gewöhnlichen Fortgang; auch liefern hiesige |4 Studirende bedeutende Beiträge. Zum Schulgebrauch steht mir die Gymnas. u Lyceumsbibliothek offen, die bedeutende Werke enthält. Mit Büchern bin ich versehen genug; aber nur nicht mit der Zeit.

Barth und Roth sagen ihnen viele Grüße. Ersterer wird seine Urgeschichte zu Ostern herausgeben, welche die Relig. u Sitten der Deutschen enthält. Letzterer setzt Breiers Geschichte fort.

Liegen denn noch immer alle Lasten auf Ihnen? Bekümmert sich denn der oben ihnen thronende Gott der Götter gar nichts für das florirende Gymnasium? – Doch die Bildung Ihrer Schüler ist ihr höchster Lohn.

Wie gern möchte ich bei ihnen noch ein Jahr sein. Um Plato's Symposium beneide ich alle Ihre Schüler, besondere den wackern Thüngen, dem ich das Beste wünsche.

Die Abhandlung von Thiersch über die Künstlerepochen bei den Griechen wird Ihnen mein Vater schon zugeschickt haben; aber |5 ob sie Weillers Rede erhalten haben, das bezweifle ich. Lassen Sie sich sie von Otto geben, er hat sie zuletzt gehabt. Die letzte Rede von ihm, welche er bei der Einweihung der hiesigen Studienkirche hielt, schicke ich meinem Vater noch, der Sie ihnen dann gibt. Sie ist vortreflich.

Thiersch arbeitet jetzt fleißig an der Herausgabe seines Pindar u an der Odyssee, die er, wie Heyne, bearbeitet. Weiller hat viele Feinde hier, u besonders unter seinen Herren Collegen.

Dieß ist alles, was ich Ihnen, theuerster Lehrer, im Flug u Eile etwa schreiben konnte. Verzeihen Sie meine Freimüthigkeit, aber denken Sie manchmal an

Ihren

gehorsamen Schüler
Max Richter.

Grüße an Thüngen, Rudolf,
Albert, Emil, Karl p.
Grüße an Ihre trefliche Frau.
Leben Sie glücklich mit Ihrer
Familie und bleiben Sie der
Freund meines Vaters.

Zitierhinweis

Von Max Richter an Lorenz Heinrich Wagner. München, 17. November 1819, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). Textredaktion der Briefe von Max Richter: Dürten Hartmann. In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0769


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl., 1 Bl. 8°, 5 S. Auf S. 6 Adr.: Des Sg. H. Prof. u Ersten Rekt. Ass. | L. H. Wagner | Hochwolgeboren | in | Baireut. | d. E. Auf S. 1 aoR vfrH in violetter Schrift: An Prof. Wagner.


Korrespondenz

In seinem Brief vom 17. Dezember 1819 schrieb Jean Paul an Max Richter: "Deinen zu freimüthigen Brief an Wagner sende mir unversiegelt zum Entscheiden über die Abgabe." Ob es sich hierbei um den vorliegenden Brief handelt, ist nicht sicher.