Von Friedrich Mosengeil an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 17. Mai 1808, Dienstag

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Meiningen den 17t Mai. 8.

Gesund und glücklich sind wir wieder hier und laben uns an der Erinnerung jener seligen Tage . Selig nenne ich sie, denn was könnten die Bewohner des Paradieses wohl mehr wünschen; als im Innern ein warmes Herz voll Liebe und Frieden, und von außen den lieblichsten Wechsel unschuldiger, geistiger Freuden? – Ja, hatten wir nicht das bischen Sinnenfutter noch vor jenen voraus? – Kurz, wäre in diesen unvergeßlichen Stunden der Jüngling mit der umgestürzten Fackel erschienen, um mich zu fragen, "ob ich selig seyn wolle?" Ich hätte ihm geantwortet: "Bemühe dich nicht, guter Junge, denn ich bins schon."

"Uns war ganz paradiesisch wohl
als wie fünfhundert Engeln."

Bey unsrer Abreise von Ihnen, geliebter und hochverehrter Freund, hatten wir Anfangs die Sprache verloren, |2 wenn Sie nicht nasse Augen und stummes Händedrücken dafür gelten lassen wollen.

Wie war unsrem armen, oder vielmehr unsrem reichen Wagner so wohl! – Die Reise ist ihm überhaupt herrlich bekommen, so daß er beschlossen hat, sich ein kleines Fuhrwerkchen anzuschaffen und künftig nicht mehr zu reiten .Er sitzt jetzt immer in seinem neuen Garten und liest den göttlichen Tieck . So fand ich ihn wenigstens gestern, als ich mit der Frage zu ihm trat: "Erinnerst du dich wohl noch eines gewissen Truchseß zu Bettenburg?" – Da wurde freilich Tieck vergessen, und wir schwatzten 2 Stunden lang, während die Kleinen jubilirend den in Bettenburg geschnitzten Vogel ganz zu Schanden schossen.

Viel habe ich auch erzählt bey Herrn v. Könitz mit dem ich Mittags in Jerusalem aß. Beyde theilten |3 den Nachgenuß unsrer Freuden. –

Aber den braven Dechant zu Mellrichstadt sprachen wir leider nicht. Gerade als wir ankamen, nahm der Gottesdienst seinen Anfang. Einige Stunden zu warten war uns nicht wohl möglich, da die Hitze unerträglich zu werden schien. – Diese verfehlte Bekanntschaft ist das einzige unangenehme Begegniß der ganzen Reise. – Ihre gütige Empfehlung hebe ich als einen Credtitbrief für den ungewissen Fall auf.

Mein erster Ausgang hier war zum Juden. Zu meinem großen Verdruße war indeß das ganze Stück bis auf 4 Ellen weniger ⅛ verkauft. Israel versicherte zwar, dieser Rest reichte ihnen zur poln. Jacke, doch mußte ich wollte ich es nicht darauf wagen. Sprechen Sie erst mit Ihrem Schneider. Das Tuch liegt gut 11/4 br. ohne Salband. Ich brauchte zu einer solchen Jacke kaum 3 Ellen, wie mir mein Schneider sagt.

Noch lege ich Ihnen Proben bey. Das grünmelirte Tuch (à 5½ rtl.) gefiel mir so wohl, daß ich mir selbst zu |4 einer Jacke nahm. Es ist auch noch alte englische Waare und jetzt gewiß viel theurer. Ich habe die Elle zu 5 rtl. 8 gr. erhandelt. Meine Schneider meint, Sie könnten davon unmöglich mehr als 4 Ellen brauchen. Ich behalte bey 3 Ellen noch ein gutes Stückchen zu Erneuerung der Aufschläge übrig. Geben Sie mir nun bald Ihren Willen zu erkennen.

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Die versprochne Rede lege ich Ihnen hier bey. Ich gäbe viel darum, wenn dieser edle Mann (um dessenwillen mir es, wie ich mir oft vorstelle, auf Erden so wohl geht) meinen edlen Truchseß gekannt hätte. Doch werdet ihr Euch nicht kennen lernen? –

Leben Sie wohl, hochverehrter Mann! Tausend Grüsse von Wagner, des Dankes gar nicht zu gedenken. Gott schenke Ihnen ein freudenreiches Kirschenjahr! Hat denn 10000 G und 50000 K schon abgeblüht?

Ihr

Mosengeil.

Zitierhinweis

Von Friedrich Mosengeil an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 17. Mai 1808, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0877


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Textgrundlage

H: Baumbachhaus Meiningen, MM XIV-3/6530
1 Dbl. 4°, 4 S.

Überlieferung

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 11, Leipzig: Fischer 1828, S. 184-186 (ungenau, unvollständig; datiert auf den 18. Mai 1808).