Von Engel Christine Westphalen an Johann Ernst Wagner. Hamburg, 21. Mai 1808, Sonnabend

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Hamburg d 21 May 1808.

Es hat mich sehr beunruhigt daß ich mich genöthigt sah, Ihne n n Herr Kabinetssecretair erst izt für eine Gabe zu danken wodurch Sie mir einen recht frohen Genuß verschaften. Sie werden aber, wenn Sie die Ursachen dieser Zögerung erfahren mich hinlänglich entschuldigt halten. Anfangs wollte ich Ihnen nicht eher schreiben, bis ich Ihren, mit so viel hinreißender Wärme abgefaßten Kunstschulplan einigen meiner hiesigen, der Sache kundigen Freunden, Ebeling, Gurlitt, Sr Hudtwalcker, Doct. Meyer, Reinhold, den hier anwesenden Sr Schmid aus Bremen, u anderen mitgetheilt hatte, um Ihnen das Gutachten dieser Männer zugleich zu melden. Wärend Ihr Buch noch in Cirkulation war, befiel ich, gerade in den ersten schönen Frühlingstagen, mit einem hier herrschenden kalten Fieber, welches mich ungeschickt zu allen Geistesbeschäftigungen ließ; und von dem ich nur noch kaum erstehe.

Sie, Herr Kabinetssecretair, wären die Vertretung jener genandten Freunde, für eine so gute Anstalt wie die Ihrige gesichert gewesen, wenn nicht die Zeitereigniße einen jeden zurückschreckten, in diesem Augenblick etwas dafür zu wagen.Vielleicht sind Ihnen die Bedrängniße unserer Stadt weniger bekannt. Die Sorge die nicht allein mehr oder weniger Deutschland, sondern auch, ich möchte sagen, alle Länder Europens ängstet, die, des persönlichen Fortkommens, ist in unserer, sonst so blühenden, izt gänzlich brach liegenden Handelsstadt von sehr bedeutender Wichtigkeit. Die bekanntlich so wohlthätigen Bürger Hamburgs sehen sogar dem Augenblick mit Trauer |2 entgegen, wo sie vielleicht genöthigt werden eine ihrer schönsten Anstalten, die Armenordnung, untergehen zu laßen, weil die Anzahl der Armen sich aus Mangel am Erwerb stündlich vermehrt, der wohlhabendere und der Reiche die gesammelten Schätze hergeben müßen, die Lasten des Staats zu mindern, wenn nicht Alles sich zum Untergang neigen soll. Bedenken Sie selbst ob unter diesen Umständen hier etwas für die Kunst auszurichten sey?Ach wer könnte ihr Altäre bauen, bey dem Wehruf des allgemeinen Elends? Was für Fortschritte könnten ihre Zöglinge machen, auf einem Boden wo die Wilkür fremder Gesetze herrscht? Woher den Muth zur Aufrechthaltung ihrer nehmen, wenn der gebeugte Geist, kämpfend mit des Lebens verstärkter Mühsal, kaum die eigenen Lasten trägt? Wo den Geschmack am Zarten und Schönen nähren, wenn das Rohe, das Wilde, mit zügelloser Kraft ihre Keime, Blüthen und Früchte zerstört?Deutschland muß die Schmach die es izt erduldet mit Würde tragen, und in Stille hoffen. Es werden Zeiten kommen wo es sich von seinem Sturz erheben wird; denn das eigentliche Deutschland, der echte Deutsche, wird unter keiner Regierungsform untergehen, und dann werden die Söhne Teutonia's mit verstärkter Kraft auch für Kunst und Wißenschaft handeln. – Bis dahin sehe ich Ihren schönen Plan an als ein gesundes Korn einem kräftigen Boden anvertraut das keimen und wachsen wird wenn die von aussen auf ihm feindlich wirkenden Elemente ihren Zorn besänftigt haben und |3 mildere Wärme es hervorlocken wird.

Einem so warmherzigen, vertrauensvollen Beschützer des Schönen muß es für den Augenblick betrüben seine überaus schöne Idee nicht verwirklicht zu sehen, aber ihm bleibt doch immer der stärkende Gedanke, daß Er der erste war der eine so gute Sache in Anregung brachte.

Nehmen Sie die Versicherung meiner aufrichtigen Achtung.

Christine Westphalen. g. v. Axen.

Zitierhinweis

Von Engel Christine Westphalen an Johann Ernst Wagner. Hamburg, 21. Mai 1808, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0878


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Textgrundlage

H: derzeit Autographenhandel Deutschland (Antiquariat Susanne Koppel); Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Dbl. 4°, 2⅓ S. Auf S. 4 Adr.: Herrn Kabinetssecretair | Wagner | in | Sachsen-Meiningen. | frei; danach vfrH: Eisenach; Poststempel: HAMBOURG; Siegel.