Von Carl Ludwig Fernow an Johann Ernst Wagner. Liebenstein, 3. August 1808, Mittwoch

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Liebenstein d. 3t. August. 1808.

Ehrenvester und Hochverehrter Freund!

Mit Dank und Lob des über mein Lob Erhabenen sende ich Ihnen Ihren Fichte zurük. Sobald ich mit heiler Haut zu meinen Laren heimgekert sein werde, wil ich ihn mir selbst anschaffen und wenigstens noch einmal, mit mer Andacht als im Brunnengewühl zu finden ist, studiren. Viel Schönes und Wares hab' ich darin getroffen, mer Wares als ich bis jezt selbst noch zu glauben, und Schöneres viel, als ich für uns zu hoffen wage; doch wünsch' ich aus deutschem Herzen nichts so ser als mein Glauben und Hoffen von der heilbringenden Zukunft übertroffen zu sehen; und solt ich selbst ein Scherflein, auch nur in Schwarz auf Weis, dazu beizutragen vermögen, so wil ichs mit freudigem Herzen tun. Wäre nur geistiges Gebrechen so empfindlich, als leiblicher Mangel, so liesse sich wol mit grösserer Zuversicht hoffen, dass eine neue Erziehung, ein neuer Kunstplan einzufüren wäre, wie eine Rumfordsche Suppe oder wie Schuzblattern; – aber – – – genug von dem, und ein paar Worte von Anderem was näher liegt, was zwar nicht die Menschheit und die Deutschheit, aber doch einen Menschen und einen Deutschen, betrift, und den ich, so unbrauchbar und gichtbrüchig er immerfort ist, mit mir herumschleppen und lieben mus wie mein eignes Selbst. Morgen verlas ich Liebenstein, ungebessert und mit mer Schmerzen als ich her gebracht; ich kan es darum, so gern ich auch möchte, nicht segnen. Doch sol es mir in gesegnetem Andenken bleiben, einiger Guten und Treflichen wegen, die ich hier näher habe |2 kennen und wertschäzen lernen, und unter denen ein wackerer Gefärt im Leiden, warmen Herzens und heiteres Geistes, mir vor allen teuer und unvergeslich sein wird.

Ich habe indes den dritten Teil meiner Römischen Studien, den ich dem Hofrath Reinwald hier noch zu geben gedachte, erst in diesen Tagen, nach seiner Abreise erhalten. Sie finden ihn deshalb hier beigeschlossen, mit der Bitte, ihm denselben gefälligst mit einem Grus von mir zuzusenden. Es versteht sich von selbst, dass Sie die Vorhand haben sollen, so viele Virtelstunden und Stunden damit zu verderben, als Sie wollen, und dass Sie ihn also vorher behalten, so lange sie mögen. Es ist vornemlich wegen des Aufsazes von den italienischen Mundarten, dass ich ihn Reinwald mitzuteilen wünsche, weil diese Materie zu seinem Lieblingsfache gehört.

Dass ich Ihnen die handschriftlichen Aufsäze nicht beigelegt habe, verzeihen Sie mir wol. Ich habe angefangen an Voss zu schreiben, ausfürlich; und um nicht Einerlei zweimal zu schreiben, werde ich ihm wol den einen Aufsaz selbst mit senden müssen; von dem andern habe ich indes den Abdruk im 4t. Stük des Prometheus erhalten; und da ich vermute, dass dieser Wiener Lichtbringer auch nach Meinungen durchdringt, so werden Sie ihn da lesen |4 können, wo nicht, so finde ich schon einmal von Weimar aus Gelegenheit, Ihnen ein Päkchen zu übersenden.

Warum sind Sie nicht hier geblieben? wir vermissen Sie noch immer. Mad. Schopenhauer und ich sind der Meinung, dass die Woche in der Sie hier unter uns waren, die schönste der ganzen Brunnenzeit gewesen. Das Gethümmel hat sich seitdem verdreifacht, denn nebst dem Dichter ist noch der Minister und dessen Son hinzugekommen, aber all dis Gethümmel wiegt uns den einfachen, ruhigen heiteren, herzlichen, traulichen Ernst Wagner nicht auf, der uns gerade zur besten Stunde verlassen hat, damit wir ihn desto mer vermissen solten; nun das haben wir redlich getan. Sie könten uns dafür nicht schöner belonen, als wenn Sie einmal unverhoft in Weimar unter uns erschienen. Aber was wir so ser wünschen, wagen wir kaum zu hoffen, der garstige Thüringerwald mit seinen Mordwegen liegt in seiner ganzen Breite zwischen uns, und das Element alles Reisens, die Bewegung, ist unserm Freunde so grausam verkümmert; oder geht nicht vielleicht der Rükweg in die Heimat notwendig über Weimar? Das würde die schönste Stelle für uns im Buche sein, denn es würde sich vorher lebendig bei uns zutragen müssen, da, wie Sie selbst versichern in dieser Reisebeschreibung alles wahr, nichts erlogen sein wird. Drum, wir hoffen!Erfüllen Sie!!

|4 Mad. Schopenhauer empfielt sich Ihrem gütigen Andenken bestens, ich desgleichen mit den herzlichsten Wünschen für Ihr besseres Ergehen, und wenn das nicht sein kan, wenigstens für den dauernden Bestand des jezigen. Mit unveränderlicher Achtung und Liebe

Ihr
Fernow

Zitierhinweis

Von Carl Ludwig Fernow an Johann Ernst Wagner. Liebenstein, 3. August 1808, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0885


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Dbl. 4°, 3⅓ S.

Überlieferung

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 152-155 (ungenau, unvollständig).

D: Carl Ludwig Fernow. „Rom ist eine Welt in sich“. Briefe 1789-1808. Hg. und komm. von Margrit Glaser und Harald Tausch, Bd. 1, Nr. 365, S. 654-656 (gedruckt nach Erstdruck).