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Meiningen den 3n August 1808.

Sie lieblicher, böser Freund! Warum sind Sie nicht mit dem holden Weibe gekommen? Schwendlerische Aale und Braten haben nur für Bergners und mich gedampft! – Zur Strafe sollen Sie hier nochmals lesen, daß ich Sie unaussprechlich liebe – daß mein Herz von dankbarer Rührung für Ihre Güte überfliesst, mit der Sie mir in L. so manche – nein, so zahllose Freude und süsse Momente schufen – Sie ganz allein! – Wie viel Vergnügen verdanke ich Ihnen nur allein in der einzigen Ansicht des einzigen, prächtigen Voigts! Und all die theuern Weimaraner und reinen! Sind sie nicht eigentlich ein Geschenk von Ihnen an mich? Ohne Sie hätte ich mich nie entschlossen, das dortige Bad zu besuchen! – Doch – Strafe wollte ich Ihnen ja zufügen; sie soll hauptsächlich im Auftrage vieler tausend Grüsse bestehen, die ich Ihnen hiermit überantworte, und ja keinen zu versäumen bitte. Ich fange mit Weimar an – denn Weimar ist doch Weimar, wenn es gleich in Angelegenheiten der Kunst in seiner teuflischen Verstocktheit so lange zaudert, bis ihm das Feuer die Nägel brennt! (Wozu ich Gottlob täglich Feuerbrände schüre.)

Also: (ohne Rang, versteht sich!) der reich- und geistreichen Mm Schopenhauer sagen Sie doch recht innigen Dank für das schöne kunstgeschmackvoll ausgeschnittene Bild, aus dessen Formen überall die reichste und lieblichste Blumenpoesie hervorleuchtet. Ich habe viel erwartet, aber noch weit mehr gefunden. Wer so Etwas schaffen kann, geht, hole mich der Teufel, aller Prosa baar und ledig! Möchte ich noch einmal das Glück haben, ihr in Weimar wegen ihrer für mich gehabten Güte die lieben Hände zu küssen! Vergebner Wunsch! Man sollte überhaupt in meinem Alter gar keine Bekanntschaften mehr machen! – Dem guten, reinen, herrlichen Fernow meinen wärmsten Segen; übrigens wisse er, daß er mir einen Brief schuldig sey. Sonderbar ists, daß ich zu fühlen glaube, als hätte ich mich von diesem Manne noch gar nicht getrennt. Sollte dieß bloß der erwartete Brief seyn? Oder wird er etwa hieher kommen? Ich halte Etwas auf Ahndungen. – Madam Ludekus und meine recht heiß geliebte anmuthig belippte fruchtaugige Conda nebst der Mll. John müssen gegrüsst und, wenigstens die Mittlere, wenn es die beyden Äussern versagen sollten, recht schmachtend geküsst werden, wie ich hiermit in litteris mich unterstehe und im Nothfalle Gewalt brauche, da sie persönlich immer vor mir ausriß. – Dem guten Böttiger einen herzlichen Händedruck. – Und nun: fassen Sie alles Schöne, Freundliche und Angenehme, was unsern Stern uns werth macht, in einen von jenen zärtlichen Blicken zusammen, die Ihnen so eigen sind, und geben ihn unsrer holden, unvergleichlichen Minna ihr sanftes Augenpaar. |2 Dem schönen jugendlichen Vögelchen, genannt Stieglitz – welches "von der schönen Baukunst" (oder, nach F. Schlegel von der "gefrornen Musik") weniger Ähnlichkeit hat, als von einem durch und durch aufgethauten, warmen, flüssigen Leben – Küsse ich auch jetzt noch an der Frau die kleinen schöngebauten Krallen, die ich in der Nähe so vielfältig bewunderte; auch bitte ich sie, die Meisterin im Kopiren, Isidora und der breitmäuligen Liese meine herzliche Kondolenz zu ihrer ewiglächelnden Glückseligkeit, die mich so oft in Zorn brachte, abzustatten. – Von diesem lieben Weibe fühle ich mich auf das schrecklichste getrennt, sehe sie also vermuthlich nie wieder. Ich empfehle sie daher dem göttergleichen M. A. v. Thümmel, so wie mich selbst in sein werthes Angedenken.

Hora ruit, Bester! Schwendlers machen mir Hoffnung, Sie noch zu Ende dieser Woche hier zu sehen. Daran will ich mich halten!

Bergners sind gestern frühe fort, und senden Ihnen tausend Küsse. Caroline war sehr gern hier, und viel haben wir von Ihnen gesprochen. Sie ist ein sehr unschuldiges, reines Kind.

Meine wenigstens dreymalige Champagner-Rechnung, bester Freund sind Sie mir wenigstens noch zu machen schuldig, da ich mich auf so vieles Andre jetzt nicht besinnen kann. Verziehen Sie nicht, diese Schulden berichtigen zu lassen.

Zu tausendmalen adieu, guter, bester Mann – es ist Niemand, außer , der Sie so innig liebt und beg wieIhr

allertreuesterJEWagner.

Sollte die schöne Frau v. Reck (den 5n glaube ich – denn wer kein Rendezvous mehr benutzen kann, merkt es auch nicht mehr!) nach L. kommen, so sagen Sie ihr tausend Schönes. Die unschuldige Seele! Kann ich denn dafür, daß mir, ihrer wahrhaften Schönheit ungeachtet, Frau von Stockmar (oder so Etwas) doch besser gefiel, wenngleich dieser aus ihrem reizenden Auge so Etwas von einem gefallnen Engel glänzte? – Überhaupt hat mir im Leben gar manche schöne Gefallene – ungemein gefallen!

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Friedrich von Müller. Meiningen, 3. August 1808, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0886


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Textgrundlage

H: GSA, 68/618
1 Dbl. 4°, 2 S. Auf S. 4 Adr.: Sr. des Herrn | geheimen Reg. Raths von Müller | Hochwohlgeb. | in | Liebenstein.