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Meiningen den 12n August 1808.

Traurig, mein Allerbester, recht traurig war es für mich, daß Ihr edler Herr Bruder, der mir vor einer Stunde Ihre theuern Zeilen sandte, auch in derselben Stunde wieder abgereiset ist; da ich so gern aus dem lebendigen Brudermunde die Nachricht von des Bruders Wohl- und Frohseyn gehört, und durch den Bruder meine Grüsse gesandt hätte. Doch soll mich nun die Post dafür entschädigen!

Innigen Dank für Ihre gar lieben Zeilen und die Worte des redlichen Wangenheim , der mir vor kurzem aus der Schweiz geschrieben, und auch bereits Antwort von mir erhalten. – Die bewusste Sache wird jetzt in mehreren Städten mit Eifer betrieben; freylich geht alles sehr langsam – doch, wenn es nur geht, und wenn der unselige Krieg nur nicht abermal die verheerende Fackel dazwischen wirft! Indessen glaube ich bis jetzt noch kein Wort vom Kriege, kümmre mich auch nicht darum, sondern singe mit Schiller: "Ja des Herzens heiligstille Räume, musst du fliehen vor der Erde Drang; Freyheit wohnt nur in dem Reich der Träume, und das Schöne blüht nur im Gesang."

Wie freut es mich, daß Sie meine Maler wieder gelesen haben, trefflicher Freund, und daß Sie so gut von ihnen denken, und besser, als die armen Teufel verdienen! – Aber wie wäre es möglich, einen dritten Band dazu zu schreiben , da das Ganze in sich selbst und im Äussern so völlig geschlossen ist?

Über die angebliche Vertheidigung des Katholizismus will ich mich schon noch mündlich bey Ihrem Herzen rechtfertigen. Jetzt nur, von der politischen Seite betrachtet, dieß Einzige: Betrachten Sie einmal Oesterreich, wie warm, wie kräftig dort schon alles wieder ist, und gleich nach jenen Stürmen dort wieder war, und wie viele glückliche Menschen es dort giebt und ewig geben wird – und halten Sie einmal die so ganz eckelhafte Auflösung und lasterhafte Zerrüttung der Preussischn Menschen, nach dem einzigen Stoß, dagegen! – Und dann fühle ich sehr lebhaft, daß die Gottheit wohl unsre erhabnen, philosophischen und aufgeklärten Ideen von ihr, gerade so abgeschmackt finden mag, als den bescheidnern Bilderglauben der Katholicken, mit dem diese übrigens doch auch gerade so weit voran gekommen sind als wir, nemlich zu der weislichen Einsicht, wie Faust sagt: daß wir nichts wissen können! – Nur in Zeichen und Bildern vermag der Mensch das Ewige und Göttliche zu schauen – und wer ihm den Glauben an dieses aus dem |2 Herzen wegspöttelt, wie Friedrich der Unherzige , und der Verbreiter seiner abgeschmackten Moden, Friedrich Nikolai, thaten, der macht ihn schlecht und stiehlt ihm alle Wärme und den Enthusiasmus zu jeder schönen That aus dem Herzen, wo dann nur noch die elende Selbsstsucht ihre schwarzen Gezelte, wie in einer kalten Wüste, aufschlägt! – Eine vernünftige oder gar verständige Religion ist eine abgeschmacktes Postulat, da ja das Ewige und Göttliche viel höher ist als unsere Vernunft. Es kann aber bekanntlich nur der, welcher mehr und vernünftiger ist, als der Andere, diesen letztern vollkommen begreifen; daher müsste unsre Vernunft doch offenbar 1.) Gott selbst, 2.) aber auch mehr als Gott seyn, um das Ewige und Unsterblichgöttliche je einzusehen. – Daher können alle Philosopheme, die uns die Zeit noch jemals bringen wird, es in der Materie von Gott, Freyheit, Tugend und Unsterblichkeit, niemals weiter bringen als bisher; denn aus der menschlichen Vernunft entsteht ja alle Philosophie, welche also weniger ist als die Vernunft, die Vernunft selbst aber kann bekanntlich sich selbst nie ganz begreifen, (mir ist wenigstens mein Ich Ich stets unerklärlich) geschweige denn Etwas Höheres als sie. – Und so, Bester, kommen wir denn ewig wieder auf den schlichten Satz des Apostels und unsers Luthers zurück: Nur der Glaube macht selig. – Davon haben sich endlich auch Fichte und Schelling, obwohl Feinde, wie es scheint, so ziemlich überzeugt. – Doch ich gerathe zu tief für einen Brief in diese Sache!

Die schöne, ja unstreitig die schönste Reise, die ich je gemacht, nemlich die zu Ihnen , und deren glückliches Ende hat zwey andere, nach Liebenstein und Gotha und Seeberg nach sich gezogen, von welchen ich kürzlich zurückgekommen bin. Ich sah dort manche vornehme, grosse, liebe, freundliche, gelehrte und seltsame Menschen, von denen ich Ihnen nenne: Thümmel, Fernow, Einsiedel , die gute Herzogin von Hildburghausen, (die mit mir von Ihnen sprach – aber wie?) Lindenau den Astronomen in Seeberg, und viele liebe Weimaraner und -inen. Oft, oft ward des herrlichen Mannes in Bettenburg gedacht, der stets so schön und frisch vor meiner Seele lebt.O kommen Sie doch bald – und wenigstens vor dem Winter hieher! Meine Seele dürstet wahrhaft nach Ihrem Anschauen. – Ihre Liebe that mir unter allen Menschen am wohlsten!

Mein Kunstplan hat mich in eine fürchterliche Correspondenz gezogen, die doch meistens höchst undankbar, aber nicht zu vermeiden ist. Göthewenn er gleich erklärt hat, er habe in 20 Jahren nichts besseres gelesen als mein neuestes Büchlein – gehört, wie natürlich, doch auch immer unter die Zweifler und grossen Achselzucker, und wünscht, ich hätte es nicht gethan.

Adieu zu tausendmalen, Trefflicher! Ewig

Ihrtreuer JEWagner.
Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 12. August 1808, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0888


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Bl. 4°, 2 S.

Überlieferung

D: Briefe über den Dichter Ernst Wagner, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 2, Schmalkalden: Varnhagen 1826, S. 123–126 (ungenau, unvollständig).

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 237–238 (ungenau, unvollständig).