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Meiningen den 9n Nov. 1808.

Mein Guter, Liebenswürdiger! Sie sollen heute nur wenige Zeilen von mir lesen dürfen – ja auch nicht zu beantworten brauchen, wenn, wie mein Herz hofft, dieß nicht nöthig ist. Meine Frau sagte mir gestern, als ich mich in Erinnerungen über Sie und die köstliche Minna freute, dieses liebe Weib sey, wie sie gehört, (von Schwendlers glaube ich) in Liebenstein nicht ganz geheilt worden. Meine Frau ist übrigens das, was man eine gute Seele nennt, in recht hohem Grade, und wünschte damals sehr, daß sie länger in Ms gutes Antlitz hätte sehen dürfen. Sie sagte mir, was ich nicht gewusst, M. leide am Solitaire – ich will das plagende Ungeheuer mit seinem schönsten, und wirklich prächtigen, nemlich dem französischen Namen nennen – und vermuthete, daß die dortigen Ärzte wohl das ganz untrügliche und als solches in der ganzen Schweiz anerkannte "Schwachheimsche Mittel" wohl nicht kennen müssten. Ich erschrak, daß ich das alles nicht gewußt hatte, und eile Ihnen zu berichten, daß – wenn dieß der Fall ist – ich Sie himmelhoch bitte, es mir sogleich zu melden. Ich kann und will, da meine Frau mit den Tissot- und Schwachheimschen Erben verwandt ist, und einer der letztern noch leben soll, der das Recept besitzt, sogleich schreiben und es Ihr verschaffen. Es soll nie gefehlt haben, auch in den verwickeltsten Fällen und bey den grössten Verspätungen.

Sie guter Mann mögen neulich wieder einmal gehetzt worden seyn, in der überladnen Festzeit! Dem sey wie ihm wolle – Ihre Lage ist doch auch in einiger Rücksicht beneidenswerth!

Mein Kunstplan dehnt und richtet sich entsetzlich langsam aus dem Wiegelein auf – Wenn er nur erwacht wenn ich eingeschlafen bin – oder wenn er nur gute Gedanken in freundliche Seelen säet, so will ich mich gern beruhigen. Es geht ja Pestalozzi'n noch nicht viel besser, und Fichten viel schlimmer – und ich bin nicht werth, beyder Schuhriemen zu lösen! – Apropos! Fichte's Reden hätt' ich gern wieder, wenn Sie nemlich sie nicht mehr brauchen.

Ich empfehle Ihrer Gnade No 262. des Morgenblattes. Ich weiß nicht, ob Sie so selig sind, meinen dort gefeyerten Truchseß zu kennen. Ach, ich habe in vieler Rücksicht viel zu wenig über ihn gesagt – und doch wird er Zorn schnauben und stampfen.

Ich bin recht fleissig – nun, ich bin nur begierig, was Sie zu meiner ersten und wahrscheinlich letzten dramatischen Arbeit sagen werden! Das ist ein schweres Fach! Und ach, ich Armer muß so ganz ohne Freund in der Nähe, ohne Lehrer und Helfer mit der entsetzlichsten Anstrengung – vielleicht vergebens – arbeiten! Ach Gott, warum ist doch der unermeßliche Göthe, der einzigwahre Helfer, für jeden so unzugänglich!

Schreiben Sie mir ja mit umgehender Post, damit ich über M., der ich die Hände tausendmal küsse, ruhig werde, und küssen Sie Ihren liebenswürdigen Bruder! EwigIhrtreuester und dankbarer

JEWagner

Wenn die gute Frau von Wollzogen sehen, der ich heute in einer Sache, die mein Herz lebhaft zu interessiren anfängt, geschrieben habe, so wünschte ich, empföhlen mich gütigst und bäten für mich um holde Nachsicht, falls etwa mein Brief, den ich mich jetzt nicht wieder zu entsiegeln und zu durchlesen entschliessen kann, geschrieben seyn sollte. – Was gäbe ich drum, , guter Engel, jetzt einmal zu sehen und MSC vorlesen zu dürfen!

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Friedrich von Müller. Meiningen, 9. November 1808, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0892


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Textgrundlage

H: GSA, 68/618, Bl 17-18
1 Dbl. 4°, 1 S. Auf S. 4 Siegel und Adr.: Herrn | Geh. Regierungsrath von Müller | Hochwolgeb. | in | Weimar. Postfrey. Stempel: R.3.MEININGEN.