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In langer, langer Zeit hatte ich nichts Erfreuliches vernommen. Die erste angenehme Nachricht war, daß Richter durch die Sorgfalt und Achtung des Fürstprimas einen Gehalt von der Akademie zu Frankfurt erhält . So ist endlich einmal einer meiner Wünsche erfüllt worden, und der letzte! Denn für mich wünsche ich nichts, mit dem Wünschen, Hoffen etc. schadet man immer der Gegenwart, denn die Zukunft ist immer ein anderes, als wir ahnden und meinen. Der nun bald ein halbes Jahrhundert mit so trüben Ereignissen erfüllt ward, das Wesen wird nicht zagen noch die letzten Scenen des Lebens fürchten.

Sie werden nun mehr südlicher ziehen, sobald der Landesfriede die Wahl eines Aufenthalts in jenen Gegenden gestattet. Wer in jenen Gegenden wohnt, hat zwiefach gelebt, die mildeste Frucht der Genüsse labt ihn. Die Gesellschaft ist im allgemeinen wie überall zu vermeiden. Ach, aber es ist immer der Hauptgewinst, wenn sich der Pilger eine Heimat schafft und ein Glück. In uns ist alles, und das außer uns muß er zu genießen verstehn. Einen leichten Gang hat nur das sorgenfreie Herz – – Nichts mehr von diesem Wissen und dieser Mühe. Sagen Sie mir nur ja bald, wie es mit Ihnen steht in der Gegenwart und Ihrem notwendigen Vorhaben.

Mit mir geht es, wie Ihnen bekannt ist; emsiger sind wir, suchen unsere Erhaltung nur in diesen Besorgungen, wollen keine Hoffnung noch Aussicht anerkennen . Die Edda würde in jeder Lage des Lebens klug und thätig sein, und sie ist es für ihre Jugend zur Verwunderung aller, die sie kennen, in dieser. Sollte Richter den Fürst-Primas bald sprechen, so findet sich vielleicht eine Gelegenheit, mich diesem erhabenen Manne zu nennen , der mit seiner bekannten Milde meiner gedacht hat . Aber er hat auch nichts zu unserm Vorteil in Bayern bewirken können; und wäre es auch gelungen, so hätten dieser Zeit Leiden es wieder geraubt; denn welch ein Zustand muß jetzo in Bayern sein, in meinem lieben Franken ! Es sind Jahr und Tag vergangen, und ich habe aus dieser Gegend von meinen Verwandten keine Nachricht erhalten; wissen Sie von ihnen, so sagen Sie mir's, das Traurige muß ich ohnehin vermuten.

In Frankfurt lebt auch eine Verwandte von der Kalbischen Familie Frau von Stubenvoll geb. von Hayn. Wenn Sie, liebe Freundin, (gewiß nur zufällig) von derselben hören sollten oder sie vielleicht sehen, so erwecken Sie die Erinnerung an meine Edda , aber ohne mich zu nennen. Doch es kann weit natürlicher sich ereignen. Kommen Sie nach Frankfurt, so gebe ich Ihnen einen Brief an meine Cousine v. Stubenvoll, es ist eine gute Frau, verwandt mit den reichen [...] Patrizierfamilien in Frankfurt, Hayn, Adlerflycht, Günderode ; sie ist reich oder wohlhabend und wird von Reichen wieder beerbt, denn sie hat keine Kinder. Sie wurde mit meinen Schwägerinnen erzogen und war an einen Oberforstmeister nahe bei Kalbsrieth verheiratet, wo ich sie sehr oft gesehen habe. Sie ist wohl 60 Jahr alt, und wenn sie Edda in ihrem Testament bedenkt, so wird sie Ihnen gewiß gefallen. Und da ich so wenig für das gute Kind, die brave Tochter, thun kann, so will ich wenigstens nichts versäumt wissen, daß ein anderer für sie sorgte. Schreiben Sie mir bald und erzählen mir viel, ja alles, was Sie betrifft!

Ihre treu liebende Charlotte.

10. Juli 1809.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Berlin, 10. Juli 1809, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0902


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 130–132, Nr. 106 (HE Berend)