Von Johann Ernst Wagner an Charlotte von Schiller. Meiningen, 21. Oktober 1809, Sonnabend

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Meiningen den 21n Oct. 1809.

Meine gnädige Frau!

Dank, den innigsten Dank meines Herzens Ihrer Gnade und Güte für mich! Überrascht von dem prachtvollen Geschenke der hohen reinen Maria, stand ich an, ob ich es wagen dürfe, Ihrer Kaiserlichen Hoheit schriftlich ein Wort von meiner so tiefen Rührung vorzutragen – ach, verzeihen Sie dieß dem Ungeübten! Wir sind, in dieser Zeit, des prosaischen Lebens so gewohnt geworden, daß wir stets selbst fürchten, mit unsern poetischen Worten am Throne der Grossen unwillkommen zu seyn. Aber, ein so hohes Ideal von der zartesten und reinsten Weiblichkeit wird auch die armen herzlichen Dankworte eines treuen Menschen Ihres höchsten Blickes zu würdigen nicht verschmähen; Ihre schönen Worte über die Erhabne bürgen mir dafür – und so wage ich es, Ewr. Hochfreiherrlichen Gnaden um gnädige Überreichung der Innlage unterthänig zu bitten, an welcher nur der Homeruskopf mangelt, dessen gnädiges Aufdrücken Ihre Hand, gnädige Frau, gewähren möge!

Ach, ich wollte es einst wagen, die allverehrte Großfürstin anzuflehen, durch Höchstihre Huld den kleinen Cyklus meiner ländlichen Romane dem herrlichen erhabnen Kaiser des Nordens , oder der allerhöchsten kaiserlichen Mutter zu Füssen legen zu dürfen. Vielleicht – so hoffte ich – wären meine darin für die Menschheit dargestellten Ideen in jenem grossen Reiche eher zur Ausführung geeignet gefunden worden, als in meinem Vaterlande, wo sie, ausser einer freundlichen Aufnahme, nichts gewinnen konnten – ach, vielleicht wären sogar durch die Gnade jenes großmüthigsten aller Höfe eine Paar hundert Rubel Pension für meine Wittwe und Kinder zugefallen, die ich nun bald, schweren Herzens – arm und ehrlich verlassen soll – –; doch, ich habe, aus stiller Furcht, diese Idee bald aufgegeben.Es ist ein guter Gott, an den ich fest glaube; der den Guten und die, welche er liebt, noch nie verlassen hat. Er wird auch die Meinigen nicht dem Elende zur Beute dahin geben, wann seine heilige Hand mich nun dahin nimmt! – Und jene werthen, ewig theuren Gedanken, die ich in meine Gedichte – als das Beste meines Lebens – verwebte – o Er wird sie nicht untergehen, sondern einst wiederfinden lassen, sey es im fernsten Osten, oder im trauten Vaterlande – und so werfe ich sie

"schweigend in die unendliche Zeit!"

Ach heilige Worte des Unvergeßlichen, wie könnte ich Euch der Edlen verschweigen, die Ihn liebt! Verzeihung – Verzeihung! Aber, ich ver- |2 mag es nicht, einem Herzen zu gebieten, das Ihn – nicht so würdig, aber wahrlich heisser als jedes andere that, liebte – Eins ausgenommen – ach, gute, verehrte Frau, wohin gerathe ich – o nehmen Sie mich unter Ihre Freunde auf, so darf ich Ihn einst noch heisser lieben! Stille, meine Seele!

Das fortwährende Übelbefinden unsers verehrten Herrn Geheimenraths von W. macht mir so tiefen Kummer! O Gott, warum eilst Du so sehr mit den Guten und Treuen – während die Bösen Zeit und Raum die Fülle für ihre Thaten gewinnen!

Leben Sie froh – fröhlich in Gott, meine herrliche verehrte gnädige Frau!Ewig

Ewr. Hochfreiherrlichen Gnaden
unterthänigtreuer
JEWagner

Verzeihung für diese Zeilen in
Ihr Buch des Andenkens, Gute!
Verschmähen Sie nicht ein reines
Herz! – Verzeihung!

An
des edlen Schillers edle Gattin, 21n Oct. 1809.

Die Du einst Ihn zum Gatten Dir erkorst,
Der offne Himmel nur schliesst Deines Jammers Quellen zu,
O theure, thränenwertheste von allen Wittwen Du,

Wer kannte jemals mehr, als Du verlorst!

Joh. Ernst Wagner.

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Charlotte von Schiller. Meiningen, 21. Oktober 1809, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0911


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Bl. 4°, 1½ S. sowie ein 1 Billett., 1 S. (Gedicht).