Von Johann Gottlieb Fichte an Johann Ernst Wagner. Berlin, 11. Dezember 1809, Montag

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Berlin, d. 11. dbr. 1809.

Ihre Briefe , Theurer, Verehrter, nebst den Beilagen , habe ich richtig erhalten, und mich an den fernern Offenbarungen Ihres tiefpoetischen Gemüths innig geweidet.

Es ist Ihnen ohne Zweifel geschrieben worden, daß ich seit dem Sommer des vorigen Jahres schwer krank gewesen. Als Ihr zweiter Theil der Reisen pp bei mir eintraf, bereitete ich mich eben in Bädern die verlohrne Kraft wieder aufzusuchen. Ich bin zurükgekehrt, mit nicht ungünstigem, jedoch nicht völlig befriedigenden Erfolge. Seit der Zeit habe ich vollauf zu thun gehabt, um meinen, theils durch die lange Krankheit, theils durch die nachmalige um der Kur willen mir aufgelegte Ruhe, sehr entwöhnten Geist wieder zur vorigen KraftAeußerung zu erziehen. So sind eine Menge Gegenstände der Thätigkeit, die mich reizten; so ist auch die Beantwortung Ihres lezten Briefes unterblieben.

Tief erschüttert hat mich Ihr neuster . Ich kenne die Lage Ihrer Gesundheit nicht; aber, wie dieselbe auch beschaffen wäre, ich in Ihrer Lage würde hoffen. So hoffe ich denn auch für Sie, und wünsche mit der innigsten Sehnsucht, daß Sie den Ihrigen und der Welt noch lange erhalten werden, und mit Ihrem herrlichen Talente noch lange Wonne in empfängliche Seelen strömen.

Weil ich denke, daß die Erfüllung Ihres auf den äußersten Fall gehegten |2 Wunsches auch dafür die besten Folgen haben könne, habe ich gleich Hand an das Werk gelegt; und verschiebe es keinen Posttag Ihnen den Erfolg zu melden. – Vorgestern, d. 9. habe ich Ihr Schreiben erhalten. Der König wird, ehe der Brief bei ihm eingetroffen seyn könnte, von Königsberg abgereist seyn; aber er wird d. 23. d. hier erwartet. Ich habe eine Dame , ausgezeichnet an Geist, und Herz, die der Königinn Freundschaft verdient, und besizt, zur Vertrautin gemacht. Diese ist von Ihrem Schreiben an den K. von Ihrer rührenden Bescheidenheit, pp entzükt, und wird sogleich nach Ankunfft der Königinn, derselben Ihr Schreiben, nebst der Beilage, übergeben, diese dem König; und wir zweifeln alle nicht, daß der Zwek erreicht werden werde. Sollte, wider Erwarten, es da noch andrer Hebel bedürfen, so haben wir auch diese schon angeregt. Dies das erste.

Ferner – indem ich so eben zum Schreiben an Sie mich niedersetze, schreibt mir eine andere Dame, Charlotte v. Kalb (Sie kennen dieselbe, glaub ich, wenigstens ist sie die erste, die mich mit Ihren schriftstellerischen Meisterstüken bekannt gemacht, und mir mit dem verdienten Enthusiasmus davon gesprochen) die ich mit Ihrer Lage bekannt gemacht, "Sie stehe Ihrer Gattin von andrer Seite für einen Jahrgehalt von 50. Rthr. und wolle mir das nächste mündlich melden. Eine Prinzeßin habe 30 Rthr. unterschrieben."

|3 Endlich – wenn selbst dieses beides, wie auf keine Weise zu erwarten – fehlen sollte, so kenne ich selbst wakre Privatleute genug, die ich mich [...] bei der erwarteten Rükkunft des Hofes, mich dahin zu bewegen getraue, daß s S ie für die Erfüllung Ihrer höchst bescheidnen Wünsche mit mir zusammentreten. Im äußersten Falle also nehme ich die Sache als meine eigne auf mich; und ersuche Sie hierin mir zu vertrauen. So seyn Sie denn hierüber ruhig, theurer innig geliebter Mann, sagen Sie das den Ihrigen, und verweisen Sie dieselben an mich; und sodann genesen Sie, und leben noch lange uns allen zur Freude.

Mit den Gesinnungen der innigsten Liebe

der Ihrige
Fichte.

Zitierhinweis

Von Johann Gottlieb Fichte an Johann Ernst Wagner. Berlin, 11. Dezember 1809, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0915


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Textgrundlage

H: SBB, Autogr. I / 4164
1 Dbl. 4°, 2½ S. Auf S. 4 Adr. Sr. | des Herrn Geheimen KanzleySekretär | Wagner | Wohlgebohren | zu Meinungen | Frei. Poststempel: Prusse:p:6:.

Überlieferung

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 146–148 (ungenau, unvollständig, unter dem 11. Oktober 1809).

D: Johann Gottlieb Fichte's Leben und litterarischer Briefwechsel herausgegeben von seinem Sohne I. H. Fichte, Teil 2, Sulzbach 1830, S. 384–385 (ungenau, unvollständig).

D: Johann Gottlieb Fichte's Leben und literarischer Briefwechsel. Von seinem Sohne Immanuel Hermann Fichte. Zweite sehr vermehrte und verbesserte Auflage, Bd. 2, Leipzig: Brockhaus 1862, S. 464–465 (ungenau, unvollständig).

D: Fichte GA III,6, Nr. 865, S. 316–317 (folgt "Johann Gottlieb Fichte's Leben und litterarischer Briefwechsel" von 1830).


Korrespondenz

A: Von Johann Ernst Wagner an Johann Gottlieb Fichte. Meiningen, 30. Dezember 1809