Von Johann Ernst Wagner an Johann Gottlieb Fichte. Meiningen, 30. Dezember 1809, Sonnabend

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Meiningen den 30n Dec. 1809.

Nein – o Mann, dem Gott, zur Weisheit, nicht Salomons Reichthum, sondern mehr, ein fühlendes unschätzbares Herz verlieh! – nein, ich vermag nicht zu genesen von dieser Krankheit – aber ich vermag noch zu danken! Da liegen Ihre beyden theuren Briefe vor mir – der letzte gieng so eben ein – da liegen die schönen drey Goldstücke vor mir – ich küsse sie oft – warum sollt' ich mich ihres Besitzes schämen – mein Herz erwarb mir dieses Geschenk – das reinste, zarteste Mitleiden selbst reichte mir die theure Gabe – seine Hand – o daß ich sie noch küssen dürfte – gab diesem Golde einen neuen Glanz, der alles Gold adelt.

Doch zuvor einige Worte über meine Krankheit! Sie ist von vielen und grossen Ärzten besprochen und beschrieben worden. Einige halten sie (sie dauert nun ins 7te Jahr) für eine allmählige Austrocknung des Rückenmarks – andere für Nervenauszehrung überhaupt – Andre für Lähmung der bey'm Heiligenbein ausgehenden Hauptnerven, welche die Lähmung der untern und übrigen Extremitäten zur Folge haben müsse, u. s. w. Alle sind von jeher der Meynung gewesen, daß nicht zu helfen sey, als durch einen sanften – Gott gebe, nicht zu langsamen Tod. Schon seit 1½ Jahren vermag ich nicht mehr auszugehen, und meine Kinder führen mich täglich einigemal durchs Zimmer, oder ich stehe einige Minuten an einer Wand aufrecht. Diesen Herbst und Winter rückte nun die Krankheit, und noch rückt|sie schneller fort!; die Arme sind ebenfalls schwächer geworden – ich habe oft geschwollne Hände und Finger, welche auch, wie die Füsse, nach und nach zu erstarren scheinen und mir das Schreiben nun sehr beschwerlich machen. Der Kopf hat zuweilen Schwindel, und das Anstrengen desselben will nicht mehr gelingen, und ermattet. Aber freundlich bleibt mir noch die Phantasie getreu – sollte sie wohl das Edelste und die letzte Höhe der Menschen seyn? Da mein Körper, vorzüglich in Rücksicht der starken Brust und Eingeweide, von jeher vortrefflich war, und da ich in keiner Art je ausgeschweift habe, so kann das Übel nur aus einst bey der Administration mehrerer Güther vorgefallnen ungeheuern Erhitzungen und Erkältungen begriffen werden, und so ist es natürlich, daß ein so gesunder Bau sich lange gegen den Tod wehre. – Gelitten habe ich bis diesen Augenblick noch – so gut als nichts. Doch zeigen sich seit einiger Zeit wunde Stellen vom Sitzen und Liegen, welchen ich aber durch gute Anstalten noch zu begegnen vermag; und so |2 besteht mein bisheriges Leiden also nur in diesen und manchen andern Unbequemlichkeiten, die ein geduldiger Mann wohl ertragen mag. Auch bin ich, zum Glück für meine liebe pflegende Familie, seit acht Wochen wohl schon um die Hälfte meines vorigen Gewichts magrer geworden; ich war ein grosser stark und kräftig gebauter Mann, und in jenem Zustande wäre meine letzte Pflege mir und Andern unerträglich geworden. – Der Frühling also dürfte mit seinen schweren Lüften wohl mein Ziel seyn, wenn eintretende starke Kälte des Winters meinen Tod nicht beschleunigt. Übrigens – (ich wage nicht zu wünschen, sondern habe mich dem grossen Lenker der Weltereignisse willig ergeben!) kann ich auch eines schnellen Todes genesen, wenn irgend ein Übel, das sich auf die Nerven legt, dazu kommen sollte. Vorigen Sommer bekam ich aus Unvorsichtigkeit einen Schnupfen – und dieser (so schwächlich bin ich) hätte, ohne die sorgfältigste Behandlung, mich beynahe getödtet. – So ist es denn, theurer Mann! Zu retten ist mein Leben nicht; aber ich bitte Gott um eine sanfte Auflösung und danke Ihm für jede neugeschenkte heitere Stunde, (deren ich unzählige geniesse!) worinn ich noch für die Meinigen und meine – freylich sehr theure und immer kostspieliger werdende – Pflege arbeiten und verdienen kann. Jedermann wundert sich über diese fortwährende – ja zunehmende – Heiterkeit, und, zu meiner wirklichen Beschämung, über meine Geduld. Guter Gott! Guter Vater, gieb mir nun diese Tugend – ich kannte sie bisher noch kaum, da ich Dir nur täglichen Dank schuldig bin! Gewiß, mein geliebter Freund – Er wird es so mit mir machen, daß es der schwache ungeduldige Mensch ertragen kann. – Nun kein Wort mehr von meiner elenden Krankheit. Sollte aber meine Heiterkeit bis in die letzten Stunden fortwähren, (o welch eint entzückender Gedanke!) so möchte ich wohl zuweilen einige Worte darüber aufschreiben und oder doch meiner Tochter diktiren, die Ihnen, dem redlichen Weisen, vielleicht willkommen wären. Ich arbeite jetzt noch fast täglich – aber sehr langsam.Ich bin nächsten 2n Febr. 41 Jahre alt.

Nun, edler Mensch – was soll Ihnen mein Dank – Ihnen, der die schöne That um der schönen That willen thut – dessen Werth mein Herz fühlt, dessen tiefer Sinn meiner Vernunft hienieden zu schwer war, ihn ganz zu fassen – aber ach, dem meine Seele, mein unsterblicher Geist gewiß im Lande der Seelen mit heiligem Entzüken ganz fassen, ganz ergreifen wird! Ich armer Mann will endlich für meinen und der Meinigen Freund und die Seinigen zu Gott beten!

Wohl mir, ich habe nie an Ihrer Güte gezweifelt – ja, ich wusste gewiß, daß Sie meine Bitte erfüllen würden, und war fröhlich, als meine Zeilen an Sie gesiegelt waren. – Möge Gott nach seiner Weisheit das Herz des besten Königs lenken – denn es giebt der armen Familien so viele – und ach, mein Gewissen sagt mir nicht, ob ich einer so glücklichen Hülfe werth bin – ich, der Unterthan eines kleinen, glücklichen Staates – ich, der faule Mensch, der so manche Stunde des Lebens in weniger oder ver |3 kehrter Thätigkeit verscherzte! – Aber die Meinigen sind gut – auch ist meine liebe Frau aus Neuchatel gebürtig – eine vormalige Unterthanin des edlen Mannes.

Jetzt eine dringende, innige Bitte. Geben Sie mir, verehrungswürdigster Mann, den Vor- und Zunamen jenes göttlichen Weibes, die meine Fürsprecherin seyn will und mich so großmüthig beschenkt hat. Den holden Namen muß ich wissen – o möchten Sie es bald thun, da ich gleichsam täglich sterbe – ich fühle jetzt, wie wichtig ein Name ist!Ich bedarf – gewissenhaft gesprochen – dieser Gabe zu meiner Pflege nicht. Denn es geht mir wohl. Ich habe [...] 400 rth. Preußische Währung Besoldung, womit eint Mann selb fünfe hier zur Noth leben kann, wenn er sich genau behilft, und so viele Zeit zu literarischen Verdiensten übrig behält, wie ich. Meine Fürstin liebt mich wie einen Freund, hat mir manche Erleichterung gemacht, mich sogar selbst in meinem Kämmerlein besucht, da ich schon längst ihre Zimmer nicht mehr betreten kann. Jedermann ist freundlich mit mir und bedauert meinen Zustand, da ich mir nie Feinde gemacht. Auch geschieht gewiß das Mögliche für meine Familie, wenn ich dahin bin. Freylich ist dieß Mögliche auch für die Wittwe und Vier Kinder meines Vorfahrers, des Cab. Sekr. Fleischmann (des grossen Musikers) geschehen, welches aber nur in einer Pension von 40 rth. Frankf. Währung besteht, und, der Folgen wegen, in einem kleinen Staate von 200000 rth. Einkünften, nicht höher gesetzt werden kann. Dieß möge meine neuliche Bitte an Sie, Bester, rechtfertigen. So bin ich indessen (da Cotta in Tübingen mein Verleger ist, und sich wahrhaft freygebig gegen mich bezeigt hat) bis jetzt immer noch im Stande gewesen, mein und der Meinigen Leben zu versorgen und Ärzte und Apotheker abzuzahlen. – Aber doch – doch behalte ich jenes großmüthige Geschenk zu andern Zwecken. Ich habe eine Tochter von 15 und zwey Söhne von 13 und 11 Jahren – zwey Knaben, schön und freundlich und kräftig, wie der Tag! Beyde haben schon viel gelernt und finden Lust an der Malerey, der älteste zur Landschafts-, der jüngste zur Historien- und Porträtmalerey. Da ich in letzterem das Talent, zu treffen, zufällig entdeckte, (und überhaupt bey ihm mehr als Talent – Genie – zum Grunde zu liegen scheint) so hindere ich sie nicht, als zwey einige gute Brüder ihr gemeinschaftliches Heil in der Welt zu versuchen; mein Wille ist, daß sie sich nie trennen von der Zeit an, wo sie die Welt betreten können, sondern Glück, Kunst, Arbeit, Talent, Freude und Schmerz mit einander theilen. Das versprechen mir die Lieben, und ich weine Thränen einer schönen Hoffnung. Zu ihrem ernsteren Unterricht und Kunstapparat weihe ich jene 3 Louisdore, wenn es meine himmlische Wohlthäterin erlaubt. Möge die guten Knaben einst ihr Pfad zu der Edlen hin tragen, möge das, was ich nicht lohnen kann, einst die Kunst lohnen, die den schönsten irdischen Lohn für solche Thaten |4 reicht! – O lassen Sie mich ihr bald selber danken! – Es ist ein göttlicher Gedanke, daß diese Knaben vielleicht schon in 3–4 Jahren – ihr Brod zu verdienen vermögen!

Ich habe mich müde geschrieben. Aber ich musste Ihnen, der so zarten Antheil an meiner Lage nimmt, Vieles darüber sagen – so verworren es auch ist. Wer sich als unsern Freund bethätigt, der verzeiht auch gewiß unsrer Schwachheit im schnellen Ordnen der Gedanken.

Gott stärke Ihre Gesundheit, edelster aller Deutschen, und erhalte Sie noch lange in herrlicher Blüt – für das grosse göttliche deutsche Werk, das – am Ende doch im Norden beginnen muß! Ich fühle dieß jetzt endlich bestimmter.

Die gute, herrliche Frau von Kalb – möge Gott das edle Weib für ihr großmüthiges Andenken segnen! Sie hat ihr Leben lang viel, viel – und schuldlos gelitten!

Soll ich Ihnen die Gefühle – die Thränen meiner Lieben schildern? Ach, Sie kennen selbst das Gute, wie das Verderbte des menschlichen Herzens! Aber verschmähen Sie nicht, o Allerbester, die reinen Grüsse der Schwachen und Unmündigen! Gottes Friede über Ihre ganze Seele!

Ihr

dankbarer
JEWagner

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Johann Gottlieb Fichte. Meiningen, 30. Dezember 1809, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0917


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