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Meiningen den 30n Jan. 1810.

Gnädige Frau!

Es ist ein Attribut göttlicher Seelen, daß ihr Anblick, und noch mehr ihr Wort eine milde tröstende Kraft für Bekümmerte enthält. Ihre lieben, verehrungswerthen Zeilen, edelmüthige Frau, haben diese Kraft an mir Bekümmerten bewährt. Ich habe sie oft gelesen, ans Herz gedrückt, und – mich freudiger gefühlt. Dank Ihnen, Beste, für diese labende Güte! – Ja, Gott lebt, und herrscht, und bleibt der Herr der Herren, und der Lenker schöner Herzen, und der allmächtige Bändiger des Unglücks und der Bösen.

Haben Sie die Gnade, der von mir so innig als warm verehrten Frau Ministerin von Wollzogen meinen unterthänigen Gruß zu sagen. Ich vermag es nicht, Ihr selbst zu schreiben; denn in jedem Augenblick, indem ich an die duldende Herrliche denke, füllt sich mein Herz zu sehr mit Wehmuth, als daß ich zu Ihr reden könnte. Was wären wir Alle ohne den grossen, schönen, heilich sichern Trost des Wiedersehens! Fühlen Sie ihn mit mir!

Lassen Sie mich Ihnen ein prophetisches Wort sagen – denn Naturen die der irdischen Auflösung sich täglich so sehr wie ich nähern, sehen heller in die Zukunft. – Ihr Herz, Treffliche, sey gutes Muths! Unsterblichen, des Gerechten, des Reinen – ach, glauben Sie mir, sie werden gesegnet bleiben und Überfluß und Freude die Fülle haben – denn Gott und Deutschland werden sie schützen und lieben! Deutschland ist nicht schlecht, wie elende Menschen sagen – Deutschland ist dankbar, und wird stolz seyn und bleiben auf sein Bestes und Reinstes, und auf den werthen theuern Nachlaß desselben. Trauen Sie, o Allerbeste, trauen Sie dem Seherwort!

Auch mein kleiner rechtschaffner Name wird nicht zu Schanden werden auf der Erde – Gott wird ihn ins Buch des Lebens schreiben, und |2 mancher gute Mensch wird ihn mit Liebe nennen. Aber auf die Dankbarkeit der Deutschen habe ich keine Ansprüche. Doch sind es nicht so sehr meine Kinder die mich bekümmern; (denn meine Söhne sind zwey liebe Gemüther, die dem harten Blick der Welt mit freundlichem Diensteifer entgegentreten werden – zwey der besten Menschen bis jetzt, die ich kenne, die Alles für Mutter und Schwester thun werden, sobald sie – es vermögen!) aber – meine Wittwe! – Ich weiß, daß meine sehr edle Fürstin mir und den Meinigen recht herzlich gut ist, und für meine Wittwe sicherlich das Mögliche thun wird. Aber dieß Mögliche (in einem Staate von 200000 rth Einkünften) ist auch bey der Wittwe meines Vorfahrers geschehen, und darf nicht mehr als in 40 – höchstens 50 rth Pension bestehen — —

Aber, ich will Ihr Herz durch solche Bilder nicht traurig machen, schönes Wesen, das mir so freundlichen Trost zurief, der mich noch in meinen letzten Stunden umwehen soll! Ich, der von Kindheit auf stets an die Gottheit glaubte – ich sollte jetzt am Rande des Grabes zweifeln?Fester als je steht mein Glaube nun, da die grosse Stunde naht. Möge ihr Schatten nicht langsam über mir hinziehen – sondern vom Barmherzigen beflügelt – doch, wie Er will; denn ich habe in dieser Welt bis diesen Augenblick noch wenig oder nichts gelitten, und nur Dank bin ich Ihm schuldig.

Möchten Sie mir, während ich noch bey heiterm Geiste bin, nochmals ein so schönes Wort sagen, wie das letzte – – Gott! Möchte ich im Leben noch Ihre und der heiligen Kinder Hände fassen – möchten Sie – ja, himmlische Freundin! ich werde bald zu seinen Füssen sitzen –

Leben Sie wohl und glückselig. Ewig
Ihr

dankbarer
JEWagner.

Ich sandte mit dem Postwagen zwey Kunstarbeiten an Herrn Reg. R. v. Müller. Sollte ihm der Verkauf derselben in W. nicht gelingen, und Ewr. Gnaden könnten bey I. Kaiserlichen H. der edlen und großmüthigen Maria eine Fürbitte einlegen, so fiele mir ein wahrer Stein vom Herzen – denn sie gehören einem gar armen Manne, der 5 Kinder hat. Doch ich zweifle nicht an M.s Willen und Glück. Verzeihung hiefür – gnädige Verzeihung! – Möchte ich doch noch das Glück haben, in Gemeinschaft mit der mir höchst theuern edlen Reinwald Etwas an der Petersenschen Biographie des erhabnen Meisters zu veredlen oder doch zu berichtigen! Wäre es doch meine letzte Arbeit!

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Charlotte von Schiller. Meiningen, 30. Januar 1810, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0922


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Dbl. 4°, 2 S. Auf S. 4 Adr.: Ihro | der Freyfrau von Schiller | Hochfreirherrliche Gnaden | in | Weimar. | Postfrey. Poststempel: MEININGEN.