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Meiningen, den 30. März 1810.

Allerbester Wilhelm! Nein, es ist unmöglich, daß ich es noch einen einzigen Tag unterlasse, an Dich zu schreiben. Denn eben war Deine Schwägerinn, J. v. F. bey mir, und sprach sogar von Dir, mein alter Ewigtheurer! – Nun höre nur: ich habe Dir blos deswegen noch nicht geschrieben, weil ich Dir immer meine sämmtlichen Schriften dazu schicken wollte, und noch auf die neueste Auflage des Willibalds wartete. – – –

Also, seit zwey Minuten bist Du Einer Eine Eines, an den die das da soll oder muß geschrieben werden! Sey mir mit Weib und drey Kindern (auch von meinem Weib und drey Kindern), tausendmal gegrüßt!

Ich habe nun ganz bestimmte Ordre gegeben, Daß Du in der Leipziger Ostermesse postfrey erhälst: 1) Willibalds Ansichten des Lebens, 2 Bände, 2) die reisenden Mahler, 2 Bände, 3) Reisen aus der Fremde in die Heimath, 2 Bände, mit meinem wohlgetroffenen und vortrefflich gestochenen Portrait , 4) Ferdinand Müller, (ein Hellmershaucks -Roman) 1ster Band, und vielleicht noch 5) Historisches A B C eines vierzigjährigen Henneberg'schen Lesebengels, 1ster Band, wenn Letzteres nämlich von Jean Paul und Cotta zur Vollendung gefördert wird .

Hättest Du doch nur Alles dies schon jetzt gelesen – aber bis in Euren Vogelsberger Froschgraben werden wol diese Lichter noch nicht gedrungen seyn! Von den Reisen darfst Du Dir einen höchst köstlichen Genuß versprechen; auch hat darin die Welt nichts so sehr angezogen, als meine und Deine Jugendgeschichte, und ein Kunst-Richter hat mir sogar den Gefallen gethan, in seiner Recension Deine Figur etwa mit den Worten zu nennen: "Dieser Brief hat einen schönen historischen Karakter; man wünscht sich an die Stelle seines Wilhelms, um an des Verfassers Seite Birndiebstähle, Sau- und Hunds-Jagden mit zu verüben." – Fast lauter bekannte Sachen wird auch das A B C für Dich enthalten – – kurz, Du findest ganz unstreitig die göttlichsten Reminiscenzen in diesen sämmtlichen Büchlein. Hebe sie denn zu meinem andenken auf, guter Wilhelm, so lange bis Du mir zu unsern theuern Eltern und Lieben – nachkommst.

Ich befinde mich politisch wohl, körperlich aber nun nach und nach so abgezehrt, matt und zart, daß mein Tod nicht wol mehr ferne seyn kann. Längst resignirt, heitern Geistes, geliebt von meinem Kreise und meiner ungemein edlen Fürstinn, danke ich Gott, der mich bis jetzt noch wenig ließ, für jeden neuen Morgen, und bitte ihn um eine sanfte Auflösung, wenn nun bald die große Stunde mich überschattet. – Meine nun sieben Jahre dauernde Krankheit ist eine Art Nerven-Auszehrung. – Wohl dem, mein C., der Religion im Busen fühlt, der so einfach und kindlich-schlicht erzogen ward, wie Du und ich! – Wahrlich, Geliebter, wir sehen uns wieder! – – Gott – Unsterblichkeit – Liebe und Licht auf noch schönern Fluren, als denen unsrer Kindheit. Das war ewig mein Glaube! Das ist auch jetzt meine gewisse Zuversicht. Laß es auch die deinige seyn und bleiben, mein guter Junge, und überliefere diese wieder so kindlich rein an Deine Kinder, wie ich auch an die meinigen, und wie uns dieselbe heilige Tradition von unsern rechtschaffnen Eltern ward.

Daher antworte mir bald, geliebter Jugendfreund, damit mich Dein Wort noch im Leben ereile. Denn es wird gar große Heiterkeit in meine letzten Stunden bringen, wenn ich weiß, daß Du mich noch gerade so liebst, wie droben in der Kindheit, und wenn ich Deine Grüße noch mit hinüber zu den Unsrigen nehmen kann. – – –

Eigentlich brauchte ich Dir gar nicht zu schreiben. Lies nur meine kleinen Werke. Da steht Alles drin! – Im A B C wird Dir besonders das Denkmal auf unsern herrlichen Usbeck , (den ich doch grüßen soll?) Freude machen. – Wilhelm, es ist nach meiner Philosophie, (die Du auch in meinen Reisen findest, und ich Dir empfehle, da sie so göttlich beruhigt), nicht möglich, (oder vielmehr nicht wahrscheinlich), aber – ist es möglich, so möchte ich Dir in einer sanften Erscheinung unsre himmlischen Hoffnungen bestätigen! – Warte nie darauf, sey kalt und besonnen, nur fürchte nichts, Du Lieber! – Leb wohl und schreibe bald! Ich antworte Dir wieder, wenn – – Leb wohl!

J. E. Wagner.

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Johann Erhart Wilhelm Calmberg. Meiningen, 30. März 1810, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0924


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Textgrundlage

D: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 54, 4. März 1813, S. 215–216.

Überlieferung

D: Corin, S. 396–399.