Von Friedrich Arnold Brockhaus an Friedrich Bornträger. Altenburg, 29. Dezember 1810 und 3. Januar 1811, Sonnabend und Donnerstag

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Der jetzige Zustand der Hofräthin läßt sich nicht gut beschreiben. Krank ist sie nicht mehr, aber ihr ganzes Wesen ist zerbrochen – alle Elasticität der Seele ist von ihr gewichen, und ohne daß man sagen könne: ihr Verstand sei noch in Unordnung, zeigen sich doch häufig viele Irrungen und Besonderheiten, die darthun, daß sie durchaus noch nicht zu klaren Begriffen gekommen. Gegen mich hat sie oft die rührendste Innigkeit und dann auch wieder die schneidendste Kälte. Ebenso geht's der Schwester und den besten Freunden. Am zerknicktesten ist sie, sobald viele Menschen um sie sind.

Wenn keine Aenderung statthat, so werden wir in acht Tagen zusammen nach Berlin reisen , ich aber sogleich wieder hierhin zurückkommen.

Ich habe diesen Brief bisjetzt hier behalten, um Ihnen über die berliner Reise noch bestimmter schreiben zu können. Es ist diese jetzt auf morgen Abend festgesetzt. Ich mache sie mit der Hofräthin und Emma alleine, da Madame Richter durchaus nicht mit kann. Wir gedenken bis Dienstag Abend in Berlin zu sein. Da wir einen Lohnkutscher von hier mitnehmen, so ist meine Absicht, 3 à 4 Tage in Berlin zu bleiben und dann hierher zurückzukehren, wo ich bis zum 15./16. wieder einzutreffen gedenke. Der geistige Zustand der Hofräthin ist noch immer derselbe, und sicher nur unter andern Umgebungen, die sie nicht, wie jetzt hier, an den dagewesenen traurigen Zustand beständig erinnern, und – von der Alles heilenden Zeit gänzliche Genesung zu hoffen. Die Zukunft ist mit dem undurchdringlichsten Schleier über ihr und mein Schicksal bedeckt! Lassen Sie es uns nicht versuchen, ihn mit frevelnder Hand lüften zu wollen. Lassen Sie uns unser Schicksal mit Resignation erwarten, und folgen, wie es uns in seiner Strenge führen will. [...]

Mein Gemüth ist heute wieder sehr zerrissen. Das arme, arme unglückliche Weib! Sie sollten sie jetzt sehen, die sonst von Leben, Geist und Witz überfließende, wie sie stille und in sich gesenkt ihr oft in Thränen schwimmendes Auge gen Himmel schlägt, Stunden lang kein Wort spricht, über jedes Geräusch zusammenfährt, dann aufspringt und mit zerrinnender Wehmuth mir in die Arme sinkt. Und dann wieder, wie sie Jeden anfeindet, wie es ihr Niemand recht macht! Ach Gott!

Welch ein Verhängniß, lieber Schmidt ! Im vorigen Jahre an demselben Tage trat ich die furchtbare Reise von Amsterdam nach Dortmund an! Und dies Jahr mit Minna in diesem Zustande von Altenburg nach Berlin! Finde ich Schicksals Deutung darin? Daß es anders werden müßte? Wer weiß es!

Zitierhinweis

Von Friedrich Arnold Brockhaus an Friedrich Bornträger. Altenburg, 29. Dezember 1810 und 3. Januar 1811, Sonnabend und Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0941


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 207–208 (unvollständig).


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