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Meiningen den 6. März 1811.

Ich muß schon heute schreiben, Bester, damit Sie nicht nur Haugs , sondern hauptsächlich des lieben, edlen Wangenheims herrlichen Brief – den ich mir aber recht bald wieder erbitte, um ihn zu beantworten – recht frühe erhalten mögen.

Wenn ich Ihnen, Trauter, danken wollte: was hülfe es, und wo müsste ich da wohl anfangen? – – Nur ein einfaches "Gott lohne Ihre Liebe!" möge hier stehen – und was ich hierbey fühle, ist Ihnen ja zum Glück kein Geheimniß.Ihr treuherziger, herrlicher Brief hat mir die ganze Seele erfrischt!

Ja – sie ist wieder erstanden, unsre edelmüthige bis in den Tod geliebte Fürstin – und mit ihr meine ganze Heiterkeit. Wenn ich Ihnen meinen Gram, meine Angst um dieses holde Leben schildern könnte – Sie würden weinen, edler Mensch! Ach, es war, Gott weiß es, keine zeitliche Angst dabey – denn was hat ein gebrechlicher armer Teufel, wie ich, auf Erden noch viel zu fürchten – Gott ist ja und bleibt für mich und meine Familie der beste Trost, der uns allen kräftiglich durch die Welt helfen wird und geholfen hat. Aber, heiliger Himmel, dieses köstliche Leben sollte schon so frühe dahinschwinden – dieses Auge sollte ich nicht mehr sehen, das ewig nur mit holder Güte und Freundlichkeit auf mich niederblickte – o ich habe in jenen vier schrecklichen Tagen viel mehr geweint, als einst in den Tagen meines leidenschaftlichsten Lebens um meine unglückliche in früher Blüte hingeraffte Schwester ! – Die Ursache hievon fühlt mein liebender und fühlender Freund mir tiefer nach als jeder Andre auf Erden. Sie lag einzig in dem Gedanken "Sie war Dir gutdu durftest ihre Seele lieben." Wohl uns Allen, mein Truchseß – Sie ist genesen! Aber wohl doch vor Allen mir Unwürdigen – denn Sie ist mir noch gut. Vernimm es, Allerbester! Gestern brachte mir die gute Antonie einen wahren Madonnengruß von ihren neuauflebenden Lippen. "Sie wolle mich bald besuchen!" – – – Da, mein Freund, habe ich einmal recht von Herzensgrunde gebetet und dem ewigen Gott gedankt – und meine Thränen sind zu Freudenperlen geworden. Dürfte ich doch für sie sterben!

Aber, Freund, ich wollte Ihnen recht ruhig schreiben – und gewiß wissen Sie die frohe Nachricht längst, und sind längst wieder froh. |2 Aber Sie – ein so wahrer, so innig liebender Freund dieser Herrlichen – Sie mussten es, und gleich heute, auch von mir erfahren. – Ich schwelge jetzt täglich auf meinem Armensünderlehnstuhl in den göttlichsten Genüssen – ja ich habe mir schon ein neues braunes Philisterpferd gestern ausersehen, das ich kaufen, und den Schimmel, statt ihn langsam todt zu fahren, honettest todtschiessen lassen will – ja ein Gedicht habe ich schon auf das arme Thier entworfen, das einst im Morgenblatt abgefeuert werden soll, und das sich schliessen soll

"Du gutes treues Thier,
Stirb, wie ein Cavalier!"

Ja, ich nehme nunmehr selbst zu den Osterconfirmationskleiderchen für meine lieben Jungen die Elle Tuch für Freuden um einen ganzen Thaler theurer – gestern habe ich dem braven Cotta sogleich geschrieben , er soll mir 300 rTh schicken – der thut es sicherlich sogleich – und die Ostern soll es gar hoch und fröhlich bey mir zugehen – denn nun wünsche ich mir, wie ich in solchen Fällen immer that, nichts so sehr, als meinen letzten Heller schleunigst employiren zu können. – "Es lebe die Welt – und das fidele Leben – und wer falsch ist, der fahre in den tiefsten Abgrund zu allen Teufeln!" So tranken wir in Jena bey freudigen Gelegenheiten – – aber mein Gott, wie kann ich in diesem Briefe das Wort "falsch" nur nennen, in diesem Briefe, dessen holde Aufschrift ich nach wenigen Minuten an die Treue selbst so fröhlich und selbst so innig treu richten werde!

Nein, von der Treue will ich noch zu Dir reden, Du getreuer Mann meines Gottes, Du geliebte Seele – – o verzeihe heute meinem allzuweichen, und daher thörichten Herzen – ich kann heute die Thorheiten dieses Briefes nicht wieder durchlesen und abändern – aber ich weiß einen Ort, wo ich zu seyn wünsche – an Deiner Brust!

Ja, von der Treue! Ach, wie unsre erhabne Freundin mit Treuen, Lieben umgeben war – wie sanft, schonend und liebevoll sie von der herrlichen Osterhausen, der trefflichen K. und der redlichen Rhamm gepflegt ward – wie vielen ewigen Dank wir diesen wahrhaft liebenswürdigen Wesen schuldig sind – wie treu und schonend sich jedermann am Hofe benahm – das, Freund, das können Sie doch in der |3 Ferne mit Ihrem dankbaren Herzen nicht so lebhaft fühlen, wie ich in der Nähe. – Warum klagen doch die Menschen über Mangel an Guten! "Seyd nur gut – möcht' ich ihnen zurufen – so werden sich überall die Guten euch selbst in die Arme liefern – Gott hat sie gesiegelt, und ihre Zahl ist viel 1000 000!

Wie gut ist gleich dieser Haug, dessen Brief vor mir liegt, und dessen Schreiberey den schlichten Lapidarstyl eines recht grundehrlichen Mannes beweist – darauf getraue ich mir zu schwören.

Und dieser göttliche Wangenheim, den die Menschen auf die Leuchtenburg setzten , und dem doch die Ehrenburg zu gering war, und den Gott gewiß und wahrhaftig in die Ehrenburg auf Seinem Zionsberge einführen wird – welch eine Diamantgrube ist sein schöner Geist – welch ein Himmelsabgrund von kindlicher Güte sein Herz – da ist keine Blösse, wo die Welt jemals ihre giftigen Rostflecken an dem schönen Männerstahl ansetzen könnte! Aber lesen Sie lieber selbst , Bester – spiegeln Sie Ihr Ritterherz in den eignen Strahlen des schönen deutschen Brustharnisches!

Das liebevolle Urtheil der edlen Stuttgarter über unser Bild machte mir freylich grosse Freude. Es sind meine eignen Jungen – aber ich muß es doch sagen: sie sind gar brav. Der jüngere ist die reine Menschenliebe selbst, und der ältere ist ein gar bescheidner, rechtlicher Mensch. Behalten sie diese seltne Unschuld und Reinheit, (denn diese ist zur wahren Kunst nothwendig) so werden sie wahrscheinlich groß. Aber ach, wer darf das in dieser Welt voll Verführung noch hoffen!

Anton soll Ihnen das Bild copiren – bis jetzt ist es ihm aber noch nicht vergönnt, bis in die innern Zimmer unsrer theuern Herzogin zu dringen und es sich zu erbitten. Lieber wäre es mir freylich, wir hätten eine Copie des Pastellgemäldes . Da er nun auch jetzt von Monath zu Monath zunimmt, so thue ich einen Vorschlag. Ich schicke die Jungen bald nach der Osterconfirmation zum ersten Fluge nach folgender Reiseroute aus. Den ersten Tag bis Nordheim, wohin sie in Kunstgeschäften schon bestellt sind, zu Steins. Den 3ten Tag bis Waltershausen zu Nenningers , wo es zwey Gesichter und schöne Mühlen giebt. Den 5n Tag bis Bonndorf, von wo Ihnen am 6n Abends Anton das ehrenwerthe Antlitz des trefflichen Bruders schon mitbringt. Dann zwey Tage auf der holden Ritterburg (wo ich meinen edlen Freund recht sitzlustig zu seyn bitte) und Retour. |4 Was meynen Sie zu diesem ziemlich unbescheidnen Vorschlage? – Dann bekommen wir sicherlich ein drittes und weit besseres Bild von Ihnen, das dann nach Gefallen copirt werden kann. – Vorher aber hoffe ich Ihnen, wenn es der Confirmationsunterricht erlaubt, noch ein anderes Bild von Anton zu senden, das Sie hoffentlich kennen werden.

Auch zu verzeihen habe ich dasmal Etwas, Allerbester. "Seht doch an!" – Ja, ja! – Einen Brief von mir nach Stuttgart zu senden ? — Nein, das war nicht ganz recht. Und Wangenheim thut dasselbe! – Will denn Niemand den Artikel "vertraute Briefe" in meinem ABC beherzigen? — Nein, herrlicher Ritter, thun Sie es nie mehr! Ich schreibe an einen so ächten Freund, so toll, als es mein tolles Herz will – aber es bleibe nur verschwiegen in der edlen Brust. Nicht wahr Theurester? Sonst nehm' ich mich künftig zusammen und schreibe Briefe mit Ewr. und Ihro und unterthäniggehorsamst, die man hinters Fenster stecken darf. –

Gleims Gedicht auf Göthe

"Welch weiter Weg von Iphigenien
Bis zu den – Xenien!"

ist auch für mich herrlich – nur daß ich sage: "welch weiter Weg aufwärts! Göthes Weg von Iphigenien bis zu Tasso ist übrigens noch weiter aufwärts.

Haugs Innschrift ist recht schön. Aber doch bleibe ich bey'm Alten. Wer in aller Welt liebt denn wohl mehr "Weiber, Wein, und vorzüglich Gesang", (gegen welchen ein Theil von uns ewig protestirenden Protestanten ewig protestirt) als der gemüthliche Katholik?

Nun mein heisses, herzlichstes Lebewohl!

Ewr. Hochfreyherrliche Gnaden
unterthäniggehorsam-
ster, doch treuer Freund
JEWagner.

Frau und Kinder legen sich unterthänig zu Füssen.

Abends.

Ich lasse meinen Brief von der Post wieder|holen, um noch einmal recht innig für Ihre jetzt erhaltnen Zeilen und den Brief von dem herrlichen Voß zu danken. Jeder Satz spricht die Liebenswürdigkeit des sanften, reinen Menschen aus. Ach, wer doch Ende März in B. wäre! Doch halten Sie, Verehrtester, ihn nur nicht ab von der Reise über Meiningen – dann gewinne ich vielleicht einen edlen Freund mehr durch Sie, durch Den ich schon in so vieler Hinsicht gewann!

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 6. März 1811, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0952


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König)
1 Dbl. 4°, 4 S.

Überlieferung

D: Briefe über den Dichter Ernst Wagner, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 2, Schmalkalden: Varnhagen 1826, S. 151–155 (unvollständig, ungenau).

D: Ernst Wagner's sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 253–256