Von Friedrich Arnold Brockhaus an Caroline Richter. Muiden oder Amsterdam, 30. März 1811, Sonnabend

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Mein eigenes Leben darf ich jetzt hoffen bald gerettet zu sehen. Wäre es nur auch das von Minna, wenn auch von mir getrennt! Es werden aber Wunder geschehen müssen, wenn sie nicht auf die eine oder andere Weise zu Grunde gehen soll.

Ich werde gewiß ihr Freund fürs Leben bleiben und wohlthätig auf ihr Schicksal einzuwirken suchen, soviel es meine Pflichten erlauben. Worin sie mich gekränkt und mir wehe gethan, das Unrecht, das sie an mir geübt, den nachtheiligen Einfluß, den sie auf alle meine Verhältnisse so gebietend gehabt – ich verzeihe ihr Alles. Kein Groll gegen sie ist in meinem Herzen. Auch ich habe gefehlt. Wie aber und durch welche Motive geleitet oder bewogen, darüber richte derjenige, der die Herzen der Menschen prüfet und würdiget in Wahrheit!

Jene von dem Vater ausgesprochene Entsagung kann auch nicht wieder zurückgenommen werden. Nicht daß Minna aufhörte mir theuer zu sein, nein, gewiß nicht; aber ich betrachte diesen Ausspruch als eine neue Weisung des Schicksals, das schon so oft deutlich über diese meine Verbindung mit ihr gesprochen, die ich diesmal achten und nicht zurückweisen will und dies um so mehr thun muß, da mein Verstand diesen Ausspruch in allen Hinsichten bestätigt. Denn konnte, sagt mein Verstand, eine Ehe glücklich sein, wo von der einen Seite alle schönen und reinen Beziehungen verloren gegangen waren, wo echte innere Hochachtung und Verehrung nicht mehr da sein konnte, wo kein Vertrauen weiter möglich war beinahe, wo alle Energie fürs weitere Leben mußte gebrochen sein, wo jede Rückerinnerung an die Vergangenheit nur mit Vorwürfen oder mit bittern Gefühlen konnte gepaart sein, wo überhaupt der wahre Charakter noch so problematisch?

Mitleiden, Theilnahme, Herzensgefühle, der Wunsch, glücklich zu machen, die Begehr, in den Augen der Welt consequent zu erscheinen – konnten jenes Fehlende nicht ersetzen, und wenn überhaupt schon Ehen im Leben selten schön-glücklich sind, wie viel weniger konnte es diese sein, wo so viele Elemente dazu fehlten!

Auch mein Gefühl hat mich, wie fast immer, hierin sehr richtig geleitet. Es sagte mir gleich in der ersten Stunde, wo die Vergangenheit vor mir aufgerollt wurde: Minna kann nie dein Weib werden! Es ist für mich eine Genugthuung, dieses Gefühl selbst gegen die edelsten meiner Freunde, die mein ganzes Vertrauen hatten, ausgesprochen zu haben. Man könnte es sonst jetzt für eine arrière pensée halten.

Ob ich fortfahren soll, dann und wann noch an Minna zu schreiben? Mir dünkt das Unterlassen wol das Räthlichste. Wozu jetzt noch auch nur die entferntesten Hoffnungen unterhalten oder Gefühle anfachen, da dies nur das große Unglück der Armen vergrößern kann?

Welch ein Spiegel fürs Leben wäre Minna's Geschichte, von Goethe, Richter oder einem andern Richardson der Mit- und Nachwelt aufbewahrt! Ja, der Vater hat recht gehabt, zu zerhauen, was sich nicht lösen konnte! Er hat recht gethan! Er ist das Orakel geworden, das ich mir ersehnte!

Zitierhinweis

Von Friedrich Arnold Brockhaus an Caroline Richter. Muiden oder Amsterdam, 30. März 1811, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0959


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 212–213 (unvollständig).


Korrespondenz

Vorliegender Brief ist das Antwortschreiben auf einen Brief Caroline Richters an Brockhaus, den er am 25. März erhalten hatte. Brockhaus hielt sich im März in Muiden und Amsterdam auf, um die Amsterdamer Verlagsbuchhandlung aufzulösen und zu verkaufen.