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Je mehr ich jetzt überzeugt bin, daß meine Bekanntschaft mit der Hofräthin und mein Verhältniß zu derselben die vorzüglichste Ursache meines seitherigen Unglücks gewesen ist, je fester bin ich jetzt entschlossen, die Bande, die zwar schon sehr gelockert mich noch an sie knüpften, schnell zu zerreißen und für immer alle Verbindung mit ihr aufzuheben. Ich bedarf Ruhe, und ich finde keine, so lange noch auf die eine oder andere Weise mein Schicksal mit dem ihrigen verflochten ist, oder auch nur meine Verbindung durch Briefe selbst noch fortdauert.

Das Schicksal der armen Frau geht mir unsäglich nah, und wo nicht Pflichten in Collision kommen, da werde ich auf alle Weise wohlthätig darauf einzuwirken suchen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß sie allein sich dieses Schicksal bereitet hat. Jedes Weib wird zu Grunde gehen, moralisch oder physisch, das es wagt und unternimmt, so – aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat, und sicher würde ich einst fürchterlich aus dem Traume sein aufgeschreckt worden, in welchen die Künstliche mich durch Zauberlieder und lieblichen Sirenen-Gesang einzulullen gesucht und auch verstanden hatte!

Der Vater in Berlin hat weise gehandelt, daß er den Kampf, der in meiner Seele vom ersten Augenblicke an mit tiefem Schmerz statthatte, wo ich erkannte, daß meine kindliche Arglosigkeit, daß das edle Vertrauen, das ich gehabt, so grausam war gegen mich selbst gewendet worden, und daß ich nur als ein Faden hatte sollen gebraucht werden, um aus dem Labyrinthe, worin man sich verwickelt hatte, sich nur retten zu können – und welcher Kampf sich so oft gegen Sie und die edeln Mitglieder des Ludwig'schen Hauses ausgesprochen – durch sein Benehmen der Entscheidung so nahe gebracht hat.

Diese Entscheidung ist jetzt in mir fest und unwiderruflich beschlossen. Meine Ehre, die Ehre meiner Kinder, die Ehre meiner respectabeln unbescholtenen Familie, die Ehre meiner vortrefflichen, im Grabe ruhenden Frau, mein Glück und das Glück Aller, die durch irgendein Band an mein Schicksal gekettet sind – hat diesen Entschluß geboten. Ich will und ich muß mein Leben neu ordnen. Ich kann es nur frei von diesen Banden und mit Ruhe im Gemüthe.

Zitierhinweis

Von Friedrich Arnold Brockhaus an Friedrich Ferdinand Hempel. Muiden oder Amsterdam, 30. März 1811, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0960


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 214 (unvollständig).


Korrespondenz

Brockhaus hielt sich im März in Muiden und Amsterdam auf, um die Amsterdamer Verlagsbuchhandlung aufzulösen und zu verkaufen.