Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1

Meiner Vorstellung kann nichts Gehässigeres sich aufdringen als der Gedanke, daß zur völlig klaren Entscheidung dieser Angelegenheit zuletzt noch gerichtliche Schritte gemacht werden könnten . Und würde ich diese hintertreiben können?

Mit der größten Bereitwilligkeit Alles aufzuopfern, was den Schmuck des Lebens ausmacht, mit der überlegtesten Resignation, würde ich doch nur für meine eigene Handelsweise gutsagen können, nicht aber für die Maßregeln meines Vaters.

Es mußte noch mehr hinzukommen, mich die Nichtigkeit meines Strebens nach außen kennen zu lernen – mehr noch als das lange Gefolge von Widerwärtigkeiten, das zum Theil vor Ihren Augen an mir vorüberzog.

Wenn meine körperliche Gesundheit, wenn meine ruhige Besonnenheit sich in der letzten Zeit rühmen dürften, Fortschritte gemacht zu haben, so scheinen geistige und leibliche Kräfte nur darum mir wiedergeschenkt, um sie an dem Krankenlager meines ältesten Sohnes zu üben, der seit vierzehn Tagen an einer Lungenentzündung schwer daniederliegt, in sechsunddreißig Stunden fünfmal zur Ader gelassen werden mußte, dessen völlige Wiederherstellung noch in diesem Augenblicke ein Problem ist. Ich bin seine Wärterin – es ist mir möglich gewesen, elf Nächte hintereinander an seinem Lager zu wachen, und an diesem merkwürdigen Falle sehe ich – daß nicht unnütz war der Gang, den mein Leben nahm, als er mich wieder hierherführte.

Finden Sie, theuerer Herr Ludwig, in der Art und Weise, wie in diesem Augenblick darauf hingearbeitet wird, die Trümmer meines äußern Glücks zu retten, etwas Zweckwidriges, so bitte ich Sie nur, die Nüchternheit, womit ich in diesem Augenblick mich den Maßregeln desjenigen Willens unterwerfe, von dem der meinige völlig abhängig geworden ist, keineswegs als eine feindselige Erkaltung gegen die Bilder von Glück und Freude anzusehen, die ich mir noch vor wenigen Monaten träumen durfte!

Wenn irgend Jemand geneigt ist, den Grund des Mislingens seiner theuersten Hoffnungen in sich selber zu suchen, so bin ich es. Das Erwachen aus einem Zustande, in welchem man so gern seinen Kräften vertrauen möchte, sich frei und im Besitz der Liebe achtungswerther Menschen glaubte, ist schmerzhaft genug, auch ohne das Einsinken äußerer Vortheile! [...]

Ich kenne in diesem Augenblick nur ein Verlangen: Friede mit mir selbst und meinen Umgebungen!

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Ernst Karl Friedrich Ludwig. Berlin, 10. April 1811, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0963


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 218–219 (unvollständig).