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|1 Berlin, d. 9. März.

In diesen Tagen eines entscheidenden, schrecklichen Lebens für unsere Armeen schreibe ich Ihnen; ehe ich dieses schließe, ist vielleicht vieles vollendet. Wir haben in drei Tagen auch nicht die mindeste Nachricht in Berlin, aber in allen Elementen ist Gefahr und Tod. Der Weltgeist wird seinen Willen durchführen, und wir müssen ihm dienen, ohne zu wissen, wo sein Ziel ist. Das Weltliche, Vergängliche nimmt sich jetzo ganz sonderbar aus bei der Gewalt guter Geister und mitunter auch nur spukender Geister, die jetzo atmen, reden und thun. Ich lese jetzo nur fliegende Blätter, Zeitschriften. Auch Jean Paul "Über den Tod der Jugend auf dem Schlachtfelde" las mir Edda, die Schrift war mir zu klein. Das eigentümliche Künstliche und Denken fand ich, aber manche Bilder waren mir nicht erkenntlich genug, meine arme Phantasie und Fassungskraft ist wohl daran schuld; aber es mochte wohl den meisten so gehen, die allein nur lesen können. Ferner hat Edda sich über die Schilderung des Alters geärgert, sie will es nicht zugeben, daß es so werde, wenn es im Keim der Jugend nicht schon so war. Was ich aber bei diesem wahr finde, ist die Lust des Alters in der Einsamkeit. Jedes Wesen, welches in der Jugend und im Leben den tiefen Verhältnissen nachstrebte, um, so zu sagen, das vergrabene Ich zu erwecken, zu beseelen, um selbst geistiges Eigenthum zu gewinnen, dasselbe Wesen, welches oft die Einsamkeit, von vielen umgeben, mit blutendem Schmerz empfand, muß die Wohlthat der Einsamkeit nur doppelt empfinden, dieses Bad der Ruhe, dieses Schweigen, wo nur die seligen oder versöhnenden Gedanken, wo in der stillen Ergebung Frage und Entscheidung ist. Mein Auge ist sehr schwach, aber auch sowohl das körperliche Organ, dessen mein Geist bedarf, um anhaltend mich zu beschäftigen. Eigentlich ist es anhaltend, aber nur viel langsamer wie ehemals. Da ich fast den ganzen Tag und im Sommer durch die hellen, langen Tage erquickt werde und allein bin, so ist mein Dasein durch mein Bestreben ein unaufhörliches Stillleben. O, welcher hohe und selige Wunsch, könnte man die Freiheit der verklärten Seele voraus empfangen! Ich will demütig sein und schweigend mit Schmerz mich Gott ergeben.

Als ich vergangenes Jahr davon schrieb, daß ich vielleicht nach Bamberg kommen werde , war es in der Möglichkeit, daß wir wieder Berlin verlassen könnten oder sollten, ohne in meinen ökonomischen Verhältnissen mir zu schaden. Dann hätte ich meine Bekannte und Freunde in Franken besucht, und Heimat hätte ich vielleicht gefunden hier und da. Aber es sollte ja kein Wurzelleben werden, noch ein geselliges und Einrichtung; dieses bedarf ich nicht mehr. Hier atme ich gesunde Luft in der geräumigen Wohnung.

Heute kam die Nachricht des Siegs bei Bar sur Aube , der genauere offizielle Bericht wird jeden Augenblick erwartet. Er war hartnäckig und blutig, aber absolut unvermeidlich, wem nun das Todeslos bei diesem Sieg gefallen ist.

Heute früh war schon für mich das erste Wort, welches ich vernahm, der Tod eines lieben Freundes, Herrn v. Ziemiecky. Er ist bald seinem Meister gefolgt, er liebte Fichte über alles . Vielleicht kennt Jean Paul seine Schrift (das akademische Leben im Geist der Wissenschaft). Ich harrte seiner Ankunft, da ich wußte, daß er bald nach Berlin kommen sollte. Wenn nur meine Söhne noch leben, so will ich mich dennoch in Wehmut noch einmal auf Erden freuen, denn alle Freunde, die ich hier fand, sind nun heimgegangen in das unnennbare Reich.

So eben lese ich den Brief von der Mutter des Herrn v. Z. über seinen Tod: "Der Tod seines Lehrers griff seine Seele dergestalt an, daß mir seine Freunde schreiben, er wäre gleich, nachdem er die Nachricht von Fichtens Tod in der Zeitung gelesen, krank geworden, hätte die ganze Nacht an ihn , den Fichte geschrieben (dieser Brief ist aber noch nicht in Berlin). Er stand nicht wieder auf und starb am Nervenfieber". Mit solcher ernsten Liebe, die sein Leben war, starb dieser Paulus Johannes . Mit dem Befinden des Herrn von Fouqué geht es besser; er ist fleißig an einem großen Gedicht , Seine Kriegslieder haben Sie doch gelesen? Ich habe auch den zweiten Teil des Buches über Deutschland von der Staël gelesen und erwarte, daß mir Richter hierüber einiges sagt . Es ist mir viel lieber, wie ihre Romane , wo immer nur einzelne Charaktere und Situationen vorzüglich sind, aber das Hauptsächliche oft widerlich ist. Kein Individuum kann mehr persönlichen Anteil nehmen müssen an unseren Siegen als diese Verwiesene . Sie kommt vielleicht nach Berlin, sehe ich sie, so werde ich mir vorkommen, als wäre mein Sein wie die Frau, die Corinna in Venedig besuchte .

Über das Handelsgeschäft , liebe Karoline, nur so viel: Es soll nur bis Wittenberg sich ausbreiten, dort sind Colonialwaren teurer wie hier. Ich muß eilen, um für mein Begräbnis zu sammlen.

d. 12. März.

Charlotte.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Berlin, 9. bis 12. März 1814, Mittwoch bis Samstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0985


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 152–155, Nr. 121 (HE Berend)