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d. 19. März.

Lenz und seine Frau haben sehr unsere Freundschaft gewonnen ; sie sind beide sehr vorzüglich, und bei meiner Wanderschaft durch Deutschland, wenn ich noch einige Jahre lebe, finde ich eine Station bei Lenzens , die mir recht liebe Verwandte sind.

Über beide G haben wir gewiß einerlei Gesinnung. Von dem, was wir Glück nennen und ahnden, wissen sie nichts, daher haben wir auch kein Urteil über sie. In keinem Fall werde ich wohl je wieder schriftlich etwas zu fragen haben; übrigens wünsche ich ihnen von Herzen Gesundheit und Reichtum.

Der liebe Geheim-Rat Mayer, der immer gegen uns sehr freundlich ist, hat mir das Museum von J. P. R. zum Lesen gegeben ; ich habe es mit aller Innigkeit aufgenommen und manches oft wieder gelesen. Erquickt war ich durch das Leben, was ich darin fand, wo es so leicht ist, die köstlichen Gaben eines so herrlichen Scharfsinns zu genießen. Ich möchte aus seinen Werken, wenn ich länger vegetiere, ein Schatzkästchen – seine Meisterschaft in Porträts wie der Vater Fibel hat meine höchste Bewunderung – ausziehen. Aber keine Satiren oder vielmehr üble Laune über Frauen nehme ich nicht auf, man giebt dadurch nur dem Leumund Worte und der Schwäche Waffen. Die Lieblichkeit und die Jugend der Sitten keimt allein in der Ruhe des Gemüts und in der Seligkeit eines liebenden Willens; aber wie schwer ist es, bis jeder Affekt gesondert ist. In diesem klaren Licht nur schaut eine Seele eine Seele.

Der lieben Spazier habe ich geschrieben, und ich hoffe von ihr eine Beichte über ihre jetzigen Verhältnisse zu erhalten. Noch glaube ich, ist ihr Verhältnis bei Fr. v. S. friedlich und sorglich; mein nächster Brief soll Ihnen darüber Rechenschaft geben, denn mein Herz wünscht innig den beiden Schwestern alles Heil des Lebens und Thuns. Ich lebe immer abgesondert und bleibe oder gewinne auf diese Weise meine Eigentümlichkeit. Solche Stille ist besonders in Momenten wohlthätig, wo neue Gärungen entstehen wollen, wie die Erscheinung des Napoleonischen Dämons. So tragisch es als Drama oder Weltbegebenheit noch werden kann, ist es doch eine hoch komische Begebenheit, daß der Gefangene, von Europa Gefangene, sich befreien konnte, von den Herrn der Meere bewacht . Wer war so sorglos oder so treulos? Er bleibt sich treu – findet nie seinen Tod. Hatte er aber die Schlingen seiner Gewalt noch immer verbreitet, ist es ihm gelungen, welches nicht glaublich scheint, hat er aber mehr durch Einsicht die Welt regiert, so hat er ein Glück durch Treue des Eifers, des Willens unter den Seinigen, den nur, den allein die Erschütterer im Geister- oder Weltreich gewonnen hatten, die bleibende Leiden und Denkmale zurücklassen sollen.

Lesen Sie meine horrible Schreibweise mit Geduld – bei Ihrer schönen Handschrift ist die meine doppelt widrig: auch dies hält mich auf, mich öfter mit Entfernten zu unterhalten.

Ich bin noch immer in Anordnung von Lumpereien thätig , um für mich und andere häusliche Sorgen zu tilgen. Wenn es Friede bleibt, scheint es mir auch jetzo zu gelingen; bricht aber wieder das Gewitter los, so ist feilich wieder alles verschüttet.

Gedenken sie mein und schreiben mir mit Gelegenheit, so wie ich es auch thun werde. Die Liebe, so uns belebt, ist ja unser Glück.

Charlotte.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Berlin, 19. März 1815, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0989


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 164–166, Nr. 131 (HE Berend)