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Kalbsrieth, d. 11. Juli 1816.

Sehr beruhigend war es mir, Ihren Brief zu erhalten, meine teure, liebe Freundin! Die Zeugnisse Ihres Andenkens und Ihrer Freundschaft sind von höchstem Wert meiner Seele. Wenn unsere Verhältnisse in Aufnahme sind und bleiben, so kann ich Sie hoffentlich zu einem Aufenthalt bei mir schon im künftigen Jahre einladen. Das Gerücht einer Reise Ihres Gemahls mit Goethe wurde mir noch in Berlin von einem Jüngling gesagt, und es schien mir sogleich unwahrscheinlich. Das Benehmen der Frau von Geiger habe ich erwartet, denn wenn ich durch etwas von G. könnte geehrt werden, so wäre es gewiß durch Haß, doch mit diesem werden sie sich nicht inkommodieren, so wenig wie ich. Und da mein Geist zu dem Ihrigen gehört, nämlich zu J. P. R. und Karoline, so ist die Kluft, welche uns trennt, gewiß ebenso stark und weit. Mich freut das schöne, heftige Gefühl Ihrer Kinder. Madam Fischer, die große, hat mir schon ein lebhaftes Bild der Kinder gegeben, indem sie sagte, sie werden eine vortreffliche, allerliebste französische Tournüre erhalten. Ihr Herr Vater läßt mich öfters grüßen, denn er besucht auch noch zuweilen meine Tochter; ich ehre und vertraue ihm, Ihre Mutter ehre ich nur

Ich habe nicht früher nach Kalbsrieth kommen können, denn so lange der Präsident lebte, hatte ich kein Recht dazu, und dann waren die Kriegsjahre, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß meine Gegenwart für meine Kinder wohlthätig sein kann. Gehe ich nach Franken, so will ich also über Eisenach und will die Schwendler besuchen. Und komme ich nach Franken, so sind Sie nicht sicher für mich in Bayreuth, denn ich hoffe, wenigstens zwei liebende und fünf gütige Seelen daselbst zu finden.

Diese Zeilen kann ich nicht leer lassen. Ich vermute fast, daß Geiger nachgiebt, wenigstens wären diese oder er nicht so verständig, als die Lage eigentlich erforderte, denn er müßte meine Kinder für Raben halten, wenn ihnen ein solches Betragen nicht empfindlich sein sollte. Sie glauben nicht, wie bedeutend es mir ist, die wenige Zeit, die mir noch zu leben übrig sein wird, zur Gründung eines besseren Zustandes für die Meinigen anzuwenden und die Hindernisse zu beseitigen. Wenn ich auch nichts hoffe, so will ich doch nichts unterlassen haben, denn wirklich, man traut dem Boden nicht, der uns trägt, wenn man erfahren hat, was ich gelitten.

Mich freut es auch, daß J. P. bei Dalberg ist. Dieser Mann war mir stets bedeutend; es scheint mir, er hat nicht früh genug den Gedanken aufgeben können, daß er zum Souverain gelangen und darin beharren müsse. Hätte er früher den Hirtenstab gefaßt, er wäre der einzige rein Heilige am Bundestag. Aber in politischer Hinsicht paßt vorzüglich der Spruch: wer kann wissen, wie oft er fehle, verzeihe mir auch die verborgenen.

Leben Sie wohl, mein teures Herz! Grüßen Sie vielmals Emanuel von mir. Ich bitte ihn, mir zu antworten, damit Sie Ihre Zeit sparen zu nötigem Thun.

Charlotte Kalb geb. Ostheim.

d. 18. Juli.

Lenz ist auch nicht im Frühling.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Kalbsrieth, 11. bis 18. Juli 1816, Donnerstag bis Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0990


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 173–175, Nr. 135 (HE Berend)

Überlieferung

H: Ehemals Berlin A. Verschollen.
Nach D auf liniertem Papier verfasst, bis "zu finden" von Schreiberhand, ab "Diese Zeilen" eigenhändig.