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Homburg vor der Höhe, den 22. Mai 1817.

Liebe Freundin!

Ich bin durch Zufall und Gelegenheit nach Homburg gekommen; was dieser Zufall daraus machen will?

Sie werden sich erinnern, daß ich im vorigen Jahr wegen eines widrigen Geschäfts mit Ihnen correspondierte . Ich kann es Ihnen nicht aussprechen, welche Leiden ich durch diese Versagung habe erdulden müssen, es ist nicht auszusprechen. Umsonst bitte ich nicht so, wenn ich bitte. Daß Sie sich von meinem Brief bei Geigers nichts merken lassen, bitte ich sehr, auch nicht bei Emanuel; was geschehen ist, ist geschehen und hat seine Wirkungen auf mein Gemüt nicht verfehlt.

Überhaupt muß man bemerken, daß statt der Bekehrung, von welcher man noch vor dreißig Jahren sprach , die Rückkehrung mit starken Schritten vor sich gegangen ist.

Es ist mir recht wohl geworden, nach allen Leiden, daß ich so einsam habe leben können, nachdem ich Berlin verlassen habe. Mehrere strenge Geschäftsarbeiten haben mir, ich möchte sagen, etwas den Kopf erhellt und mich dahin gebracht, über sittliche Gegenstände nachzudenken und zu schreiben. Vor einigen Wochen bewegte mich eine Anekdote so sehr, daß ich gezwungen war, darüber etwas im Dialog aufzusetzen . Ich habe zwei Teile davon sowohl nach Weimar als Berlin geschickt, um zu fragen, ob dieses auf der Bühne könnte dargestellt werden.

Ich erwarte nun darauf die Antwort, dann schicke ich das Ende davon.

Dies schreibe ich Ihnen, liebe Freundin, um zu wissen, und ob Sie wohl vermuten und Ihr Mann wohl Konnexion hat, und mir dieses Stück, was ungefähr zwei Stunden spielen kann, wohl in München gut verkaufen können .

Meinen Namen will ich gern verborgen haben. Es gehört wahrscheinlich zu diesen Dingen, die entweder gut sind oder gar nichts taugen. Freilich dieses zu bestimmen möchten wohl in Sodom und Gomorrha nicht fünf sein. Ich hätte dies geschrieben auch ohne Not und Drang; da aber dieser noch vorhanden ist, so habe ich es für die fünf Brote geschrieben.

Leben Sie wohl, niemand darf von diesen Zeilen wissen als Richter

Ihre C. Kalb.

Homburg bei Frankfurt.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Homburg, 22. Mai 1817, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0992


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 175–176, Nr. 136 (HE Berend)

Überlieferung

H: Ehemals Berlin A
Verschollen, nach D von Schreiberhand.