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Berlin, d. 26. Januar 1821.

Ich habe so lange gezögert Ihnen zu antworten, teure Freundin; zunehmende Schwäche macht es mir immer mehr unmöglich, selbst zu schreiben. Ich habe, was für meinen Zustand äußerst nötig war, eine abgesonderte Wohnung im Schloß gefunden, die ich gemietet habe . Unter anderen Verhältnissen hätte ich nicht ausdauern können, so notwendig ist mir besondere Pflege und Stille. Nur selten kann ich einige Stunden das Bett verlassen; ich habe kein Fieber, doch scheint ein Krankheitsstoff noch die Genesung zu hemmen. Ich kann viele Nahrungsmittel nicht mehr wie ehemals genießen, selbst nicht mehr Kaffee , hingegen fang’ ich an, sehr gerne Bier zu trinken. Dieser Winter ist mir wie ein nebelhafter Traum vergangen, ich kann auch gar nicht lesen hören. Fichte hat mir einiges aus Jean Pauls letztem Werke erzählt, diese Scherze und Ironie sind so lichtvoll und dauernd, wie ein Diamant; aber nur wenige Zeilen darf ich hören, alles was mir Bild und Phantasie giebt, wird mir Qual. Möchten Sie Ihrerseits den schweren Winter gut bestanden haben, denn es war ein strenger Gast. Mein Brief an Otto wird Sie in mehrerer Hinsicht interessieren . Das Betragen von Hornthal bezeichnet mir, wie gute Sitte an manchen Orten ganz fehlt , wahrscheinlich hat ihm Leukam die Papiere überbracht, warum hat sich Leukam diese Papiere nicht wieder einhändigen lassen? In Berlin und in Sachsen wäre mir dieses bei keiner Behörde begegnet, aber in Franken befand ich mich immer beklagenswert, in dem armen Lande. Sela.

Die gute Vincenti war ein frommes Mädchen . Die Frau von Helwig hat mir in dieser Krankheit auch sehr beigestanden, sie besuchte mich gestern, und ich freute mich, sie so wohl als stillende Mutter zu sehen.

Wenn Otto die Vermutung hegt, daß ich und meine Schwester einen Vorteil bei dem jetzigen außerordentlichen Gelingen der Saline haben könnten, auf welches Wissen und Zeugnis gründet sich dieses?

Der Präsident schrieb mir: ”So oft sie wieder einen neuen Bohrversuch machten, wenn wir nur die stärkere Sole haben, so kann ich Ihnen, wie es meine Pflicht und Schuldigkeit ist, reichlich unterstützen, aber wohl 15 Jahre haben sie schlechte Maschinen und Klempnerarbeit gebraucht.” Thon und Geiger wollten nichts wagen, daher mußte dieser Mann in dem größten Unglück untergehen. Man hat kein Bild von so tiefem Jammer, auch seine Tochter war nicht Cordelia gegen diesen Lear. Er hat ein Portefeuille hinterlassen, dieses ist in Geigers Händen, vielleicht befinden sich darin besondere Verfügungen, aber welcher Zauber würde uns dieses Portefeuille verschaffen, und wer könnte in Plutos Reich wandeln, um in dem glühenden Fluß das Gold zu fischen? Mir war aber die Nachricht von Otto in vieler Hinsicht bedeutend, und ich werde sie mit Vorsicht benutzen.

In unseren Gegenden hören wir von außerordentlicher Frivolität und Excessen aller Art, so auch die sonderbarsten Bankerotts. Wahrscheinlich kennt Jean Paul den Kriminalrat Schumann in Weimar, dieser hat vor kurzem einen Bankerott von 70000 Thlr. deklarieren müssen. Ich wünsche, daß Sie mich bald mit angenehmen Nachrichten von den Ihrigen erfreuen werden und verharre mit treuer Ergebenheit

Charlotte.

Zitierhinweis

Von Charlotte von Kalb an Caroline Richter. Berlin, 26. Januar 1821, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1006


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Textgrundlage

D: Kalb, S. 188–189, Nr. 144 (HE Berend)

Überlieferung

H: Ehemals Berlin A
verschollen, laut D von Schreiberhand.