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Heidelber am
24 Mai 1821

Theuerste Mutter!

Nicht mein Dank für Deine innigen Briefe , liebe Mutter, nicht die Aufforderung zu neuen veranlassen diese Zeilen, nein, ein alter von der Emma , wo sie über Dich so schön schrieb. Denn Du mußt Dir denken, daß ich heute Abend Alles andere weggeworfen, u eure lieben Briefe vor mir habe, wo einer mehr als der andere mich zum Wiederholen mahnet. Du glaubtest vielleicht, ich hätte Deiner nicht mit der Liebe gedacht, wie ich meinen Vater achte. Die leiseste Berührung und Erinnerung daran thut mir weh u erweckt nur neue Qualen für nie erfüllte u entgegnete Sohnespflicht gegen eine himmlische Mutter. Siehe, ein so kleiner Zug kann mich zu Thränen bringen, mehr als manche Predigt. Hier aber erscheint Bedauren in der schönen Seite mit Liebe, aber es erweckt zu trauriger Empfindung u Mitleiden. Ich denke an den Morgen, wo Du zum letztenmal an der Thüre standst u mit dem Licht an den wegfahrenden Wagen leuchtetest. Nein, das vergesse ich nie u der einzige Ersetzungspunkt wäre ein frohes u heiteres Wiedersehen im folgenden Jahr. Gott gebe es, daß nach mancherlei Wolken, die Jeder einmal sich aufthürmt, die ihm karg die Sonne durchscheinen lassen, diese noch länger scheint u wenigstens am Ende wir mit der Sonne als ein Strahl untergehen können. Du gute Mutter; Mich hat schon manches an trübe Tage erinnert; jedes andere Unglück führt zu eigenem; einmal wird alle diese Herrlichkeit hier verschwinden, keine Emma, keine Odilie, kein Vater, keine Mutter wird mehr sein u der Allmächtige euch froh empfangen u besorgen; dann wird uns klar werden, was Christus gewesen ist, was nicht; wie die Menschen sich u ihn geschaut haben. Arme Seele, sagt Jeder sich, die du im Dunkel nach Licht greifst, um andern dieses zu geben und doch nicht kannst; denn dir allein bist zu du zu gering.

|2 Die du angstvoll u misstrauisch um dich herschaust und dich u den Nebenmenschen suchst, der deine Entgegensetzung in sich trägt. Wunderbar ist es, mir am wunderbarsten, wie die Kette eines Jeden so oft zerrissen wird von ihm, wie er selbst Ende u Anfang wieder zusammenfügt u wie er sie [...] ewig um den Baum des Erkenntnisses schlingen kann. Sünden geben Betrachtung, Betrachtung Repetiren der Seele. Auch zur Dir, innig geliebte Mutter, fliegen meine Wünsche, lies den Brief der Emma ; er gehört auch für Dich. Zerreiße doch diesen gleich; Du sollst einen andern würdigeren bekommen; Mit meinem Gelde reiche ich noch aus. Bei Noth schreibe ich gleich. Auch kann ich jetzt noch keine Rechnung machen, da vieles später bezahlt wird. Also in einem künftigen Brief ganz bestimmte Ausgabeangabe. In Heidelberg fehlt mir nichts, als das 1ste Jahr in München. Ein Kollegium auf das andere, ein Wissen auf das andere u immer keine rechte Besinnung. Das Wetter ist seit einigen Tagen besser und da hoffe ich, bald den geliebten Vater zu bekommen. Noch einmal sage ich Dir, Heidelberg ist nicht das Heidelb. da welches Dir im Sinne liegt; ich meine da zb. die Weiber. Meine Erwartung war viel größer und daher auch die Furcht hier. Schon aus dem Umstande, daß Paulus sich von Allem losreißen, u nicht etwa ihrer Traurigkeit wegen – die ist meist in Fröhlichkeit, Ironie p verwandelt – sondern der häufigen Leerheit hier. Vielleicht kommt es aber bei meiner Ansicht aus einem andern Grunde her, wenn ich nemlich aus dem Höchsten plötzlich heraus gerissen werde. In einer Gesellschaft bei der Heintz sprach ich die Tochter v. Müffling aus Maynz. Wie lange ist der Vater weg aus Baireut? Sie ist erst 14 J alt u wußte mir also nichts zu erzählen. Sie gleicht sehr viel der Odilie. – Nun lebe wohl, beste Mutter. Alle Deine Wohlthaten für mich wir d st G Du Dir segnen u auch – Gott. Wünsche für Dein u Aller Wohlsein schließen die – Feder Deines

M.

Zitierhinweis

Von Max Richter an Caroline Richter. Heidelberg, nach dem 24. Mai 1821. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). Textredaktion der Briefe von Max Richter: Dürten Hartmann. In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1014


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Bl. 8°, 2 S.


Korrespondenz

B: Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, zwischen dem 8. und dem 20. Mai 1821
B: Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, 20. Mai 1821

Zur Datierung: Da das Datum durchgestrichen wurde, könnte der Brief aus der Zeit danach, möglicherweise auch erst aus dem Juni 1821 stammen.