Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1

Beste Mutter!

Wenn ich die herrlichen Worte lese, die mir Emma mit zu großer Liebe aussprach , und den Tag bedenke, den ich damals nicht kannte, aber jetzt desto besser – Deinen Geburttag, geliebte Mutter , da möchte ich zerstöben und tausend Vorwürfe machen, daß ich nicht auch eine kleine Freude Deinetwegen bei mir oder bei Dir durch Geschenkchen gehabt habe. Alles tritt mir lebendig vor, der gute Vater u ihr alle 3; gewiß fehlte etwas, einer glaubte, ach das hätte doch unser Max auch wissen sollen, damit er der guten Mutter eine Freude macht. Statt jenes Theetisches hatte ich damals einen harten Schultisch, den ich mit solchem Tee und solchen Menschen umgeben lieber sähe als das rusige Zimmer mit eben so aussehenden Gesichtern. Aber ich feiere ihn dafür jetzt und das lass ich mir nicht nehmen. Dies Erstemal, wie ich den Brief ordentlich las, kamen mir die Thränen in die Augen wegen Freüde u Wehmuth; man freut sich über die Freüde Anderer, aber die Unvollständigkeit derselben, die man sich leider oft falsch vormalt, statt daß man seine Schuld berechnen sollte, unterbricht hier oft frohe Gedanken. Die Umständlichkeit war mir noch erfreulicher und ich möchte noch mit mehren Fragen zu Dir kommen, um auch das Kleinste zu erfahren, zb. Wer besuchte Dich jenen Abend, hast Du sonst alte Freundinnen zum Genuß gehabt? Aber ich scheue mich auf der andern Seite wieder vor diesen Fragen, da ich mich nicht in Eure Lage setzen kann u die Gezwungenheit dieser bei dem himmelweiten Unterschied durch trocknes Arbeiten immer vormale. So geht es mir auch mit dem Brief . Heute um 10 Uhr las ich ihnen noch einmal u da hatte ich fast ein collegium versäumt, um gleich mich hinzusetzen, ja ich war schon auf dem Weg, auf dem Markte eine Kleinigkeit aufzukaufen; aber ich hielt mir schon lange den Zwang vor, auch bei dem größten Sturm, beim Gefühl der Liebe mich zu enthalten und zu schweigen. Das geht vielleicht beim Zusammensein an; aber – ich fehle jetzt gerade meine eigene Regel; doch urtheile Du, gute Mutter. Deine treffliche Belehrung über meine Unbeständigkeit wußt ich zwar schon lange, aber, wie vieles, glaubte ich immer, es sei nur so ein Gedanke von mir, der bei der That als schlechter wegfällt und dem guten Platz macht. Doch ich verirre mich nun. Die Zeit fodert das Schlafrecht der Menschen. Deßwegen Gute, gute Nacht, Herzensmutter. Will sehen, was mir der Morgen eingibt. Wenn mir nur e Traum Euch Alle lebendig vorführte, dann würde ich gleich am Morgen recht gut sein u so auch schreiben. Hofnung, Hofnung, Hoffnung. Gute Nacht, Vater, Mutter, Schwestern. – Der freundliche Morgen soll auch, denk freundlicher hier fortfahren. Ohne meinen Morgengruß beizusetzen gibt Carové einen herzlichen für die große Aufmerksamkeit, die ihm des elenden Bildes wegen wiederfuhr. Er lachte, wie ich, ganz gewaltig bei den Worten der lieben Emma : "Da Du von dem Bilde schreibst, muß ich noch sagen, daß Layritz ein Esel ist." Ich dachte mir dabei die komische Miene, |2 die ich vor 2 oder v 3 Jahren bei demselben Ausspruch weiter gar nicht gerne aushielt, weil ich glaubte, sie wäre durchaus unverdient. Jetzt haben sich die Dinge geändert u ich werde, wenn ich mich meines Eselthums erinnere, immer auch an den – Layritz denken. Carové erwartet bei seiner zu großen Zurückgezogenheit die Schwendler, vielleicht bei des Vaters Ankunft . Daß der gute Vater von Otto nunmehr ganz getrennt ist, ist für mich fürchterlich; denn ich kenne etwas die Art mancher Freunde, die sich innig lieben, wovon der eine aber Mißtrauen in den Freund u die Menschen ohne daß er es will, setzt, deswegen D k eine Gegenwart von ihm aushalten kann u doch ist die Liebe wahre Liebe – der andere kennt seinen Charakter nicht so, wie er in diesem Punkt ist u mißt Alles nach seiner Denkungsweise. Das ist das Schrecklichste, was der Mensch im Menschen l dulden kann u vergrößert wird der Kummer wenigstens des ersten durch die Zeit. Ich möchte gar zu gern, dem lieben Otto ein Blättchen schicken, aber – soll er nur wissen, wie mir u Euch Allen es geht? und kenne ich ihn auch recht von der traurigen Seite? Daß Herder ihm Fehler allein vorhalten kann, wie ist das zu denken? Hast Du noch nie an ihn geschrieben, geliebtes Mütterchen? Mir thut es recht weh u ich bedaure nur, daß ich es nicht mehr empfinden kann. So kalt ist man oft bei den wärmsten Sachen! Wenn Du mir [...] aber etwas mehr von dem Ganzen schreibst, wage ich am Ende doch ein Briefchen. Emanuel setzte mir einmal Etwas davon auseinander u darnach konnte man blos Otto bedauren u zu dieser Krankheit Ruhe u Zeit nur Geduld und Schonung als Mittel gebrauchen; Wie mancher sonst treffliche Mensch, der durch Zurückziehen in sich doch das Äußerste in der Wissenschaft wagen wollte bei schlechten Gaben, lebt hier und muß so den Freunden sein Leben überlassen! – Was Du von Dobenek erzähltest, ist fast nicht zu glauben. Das Aergste ist, daß ein neuer Studienplan ihn immer an den vorigen erinnert, daß er bei jedem neu wissenschaftlichen Kampf, der hier nicht zu meiden ist, den körperlichen, geringeren als stärkeren nachfühlt. Gott gäbe ihn seiner Mutter noch zu einiger Freude! – Die Ankunft des Vaters kann ich jetzt selbst nicht bald herwünschen; das Wetter ist ausnehmend schlecht und nur Einzelne Tage lassen auf guten Wein hoffen. Es ist der strengste Sommer, sagen alle Heidelberger. Die Paulus lassen Dich alle grüßen. Die Familie ist in dem alten Gleis u, wenn einmal Ironie in eine Familie so eingerissen ist, dann wird manches übertrieben u auf den Kopf gestellt. Ich weiß, ihr würdet euch nie recht vertragen können u die Spannung steht mir lebendig vor Augen. Die Mutter ist verliebt in die Tochter, der Vater durch sie in dieselbe Manier gelockt; sie überragt Alle an Verstand und – Einbildung. Für den Vater mußte es in diesem Punkt ganz passend gewesen sein, von Voß aus, der herzlichen u aufrichtigen Familie nach Paulus zu gehen u da einen Abend mit Lachen u auf einander fallenden u passenden Reden zu durchtoben. Überbleibsel von d ei ie sem Mittags- u Abendbrot werden, wie bei Aeschylus von Homer, im öffentlichen Reden, dem collegium aufgetischt, wenigstens verunstaltet oder verbessert beiläufig vorgebracht. Ein Grund, warum Schlegel die Tochter wählte , war vielleicht der, um in sein Witzbuch mit dem lebendigen zu vergleichen u auszusöhnen. Paulus reißt diesen August nach Baden; so richten sich die Heidelberger Professoren gar nicht nach andrer Leute Geistesgesundheit, sondern nach ihrer leiblichen Krankheit. [...]

Zitierhinweis

Von Max Richter an Caroline Richter. Heidelberg, um den 7. Juni 1821. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). Textredaktion der Briefe von Max Richter: Dürten Hartmann. In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1016


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument| XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Bl. 4°, 2 S. Schluss fehlt.


Korrespondenz

B: Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, 1. Juni 1821

Zur Datierung: Max Richter hatte den Geburtstag seiner Mutter am 7. Juni vergessen; der Brief entstand um dieses Datum, erreichte also Caroline nicht rechtzeitig.