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Liebster Freund

Ich habe mich den ganzen Sommer über so wenig um die Handlung bekümmert, daß die Verabredung mit Herrn Schulze über das Marionetten Theater , welche eigentlich durch Spazier zwischen Voß u Schulze zu Stande gekommen ist, mir nicht eher bekannt wurde als wie Schulze hier in Leipzig war , und darüber mit Voß sprach. Es ist mir vielleicht unangenehmer wie Ihnen, daß eine Idee, die zuerst in uns Beiden lebendig wurde, und von der ich Voß nur obenhin sagte, von ihm an einen andern übertragen worden ist, der – so wenig ich auch an seinen Talenten zweifle – doch vielleicht nicht daßelbe darunter versteht, was wir damahls wollten. Da ich keinen Antheil an der Voßischen Handlung habe, und überdieß Willens bin, auf künftiges Jahr, daß unter uns bestehende Verhältniß ganz aufzuheben, so habe ich bey diesen Afairen nur eine Rath gebende, aber nicht entscheidende Stimme, welches ich gern allen meinen Freunden sagen möchte, die vielleicht das, was Voß druckt, für das halten, was mir gefällt. Sie sehen also liebster Tieck, daß ich an der Verabredung mit Schulzen keinen Antheil habe, und Schulze wird Ihnen daßelbe |2 bestätigen, wenn Sie ihn darüber befragen. Ihr Musenalmanach hat mir einige herrliche Stunden gegeben, Ihr Gedicht Sanftmuth scheint mir das vollendetste, und das Sonet von Fr. Schlegel "wir können nicht heraus aus unserm Leibe, und Einer kann das kleine Loch nur treffen" ist das tollste. Ich wollte dieser Brief wäre nicht an Sie damit ich desto freyer davon Sprechen könnte, wie lieb ich alles habe was von Ihnen kommt. Ihre Gedichte sind alle Melodien einer reinen edeln und stillen Seele, die nicht so wohl gespielt werden als selbst spielen, fromme Töne aus einem frommen Gemüthe. Daher verdrießt es mich, wenn ich sehe, daß Sie von andern nachgeahmt werden, die sich ein dichterisches heiliges Gemüth anraisonniren wollen. Nicht jedes O! und ach! ist ein Gebet, und wenn man spricht wie ein Kind, ist man deshalb noch nicht kindlich.

Sie sehen ich bin offen, aber ich bin es gegen Sie und damit bin ich ruhig.

|3 Erlauben Sie mir wegen Ihres Octavianus mit einigen hiesigen Buchhändlern zu sprechen , denn bei Voß ist eben eine breite Mathematik für den Landmann angekommen, die das kleine Plätzchen, daß allenfalls zur Ostermeße noch übrig geblieben wäre, ganz besetzt hat. Ich will mir aber – wenn Sie noch keinen Verleger haben sollten – mir Mühe geben es Ihren Wünschen gemäß unterzubringen, denn und zwar, außer dem Wunsch Ihnen gefällig zu seyn, aus dem Intereße ein Manuscript von Ihnen zu erhalten und es im Kreis meiner Freunde zu lesen.

Ich bin Ihrer Meinung, daß die Streitereien mit Merkel überflüßig sind, aber es ist ganz Spaziers Sache, und ich habe an der Zeitung weder direct noch indirect nicht den mindesten Antheil. Wenn man diesem Menschen einen Kampf anbietet, so thut man ihm einen großen Gefallen, denn er lebt von seiner Gallenblase.

Kommen Sie bald nach Leipzig, damit ich Ihnen in meiner Wohnung bei einem Glase alten Rheinwein sagen kann, daß ich Sie hochschätze und liebe. Meine Frau grüßt Sie, und erwünscht auch, daß Sie bald zu uns |4 kommen möchten, aber Ihre Frau müßen Sie mitbringen. Wo bleibt denn Ihr ? Hat Schillers Jungfrau nicht Ihre Meinung über Schiller geändert? Was sagen Sie zu den Eumeniden ? doch ich frage soviel untereinander, und Sie werden nicht Lust haben meine Fragen zu beantworten.

Leben Sie wohl, und bleiben Sie mein Freund.

Ihr
A. Mahlmann

Zitierhinweis

Von Siegfried August Mahlmann an Ludwig Tieck. Leipzig, Herbst 1802 . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1030


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Textgrundlage

H: SLUB, App.278: Autographensammlung, Mscr.Dresd.App.278,125n
1 Dbl. 8°, 3½ S.

Überlieferung

D: Briefe an Ludwig Tieck. Ausgewählt und herausgegeben von Karl von Holtei. Bd. 2, Breslau 1964, S. 287–289 (minimale Abweichungen).


Korrespondenz

Zur Datierung: Die Tatsache, dass in Holteis Ausgabe der "Briefe an Ludwig Tieck" der Brief nach dem Brief Mahlmanns an Tieck vom 9. Januar 1803 abgedruckt ist, führte zu Fehldatierungen, vgl. Oskar F. Walzels Rezension der 1901 erschienenen Schrift "Das Incognito. Ein Puppenspiel von Joseph Freiherrn von Eichendorff" […] herausgegeben von Konrad Weichberger" in Euphorion, Bd. 10, 1903, S. 321-328, zur Datierung des Mahlmann-Briefs S. 323-325. Der Brief entstand nach Friedrich Ausgust Schulzes Abreise aus Leipzig zu Beginn des Herbstes 1802.