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In der vertraulichen Hoffnung, daß Ewr. Hochfrh. Excellenz mir noch ein gnädiges Andenken zu erhalten geruhet, wage ich es jetzt eine Sache unterthänig vorzutragen, die – falls in Weimar in dieser Rücksicht das Terrain noch frey ist – mir ersprießlich scheint.

Ich wüßte nemlich, caeteris paribus, und falls Sich I. K. H. die Großführstin noch nicht bestimmt hätten, eine Erzieherin für das geliebte Fürstenkind. Es ist Fräulein Antoinette von Mützschefahl eine Schlesierin, die sich seit der Belagerung von Breßlau hier bey einer an den geheimen Assistenzrath Schwendler verheyratheten Schwester aufhält und an unserm Hofe allgemeine Achtung und Freundschaft geniesst. Ihre Mutter war eine geborne von Wechmar (welche Familie Ewr. Hochfh. Excellenz bekannt ist) und der Vater war ein geachteter Diener Friedrich des II., dessen Familie eine der besten in Schlesien ist, und deren Weiteres bey ihrem Bruder dem gegenwärtigen Vorsteher der Lehengüter, zu erfahren wäre. So viel ich weiß, wohnt er in Breßlau. Sie besitzt 12000 peußische rth unverkümmertes Vermögen, und bezieht jetzt hievon nach der dortigen Fideicommissarischen Einrichtung jährlich etwa 700 rth Zinsen, bis sie fixirt ist, oder das Capital erhebt. Ihr ist um 20 Jahre herum. Ihre Gestalt ist schlank und schön, die Haltung edel, das Gesicht nicht schön, aber angenehm, und gewinnt bei längerer Bekanntschaft an Interesse und Ausdruck der reinen Seele. Sie ist noch die Unschuld und Reinheit selbst, und wird es ewig bleiben. Ihr Charakter ist wohl in jeder Rücksicht vortrefflich. Ihre Bildung ist so ziemlich vollendet, und die weiteren Richtungen derselben, die verlangt werden sollten, würden bey der Bildsamkeit ihres Geistes, nirgends Schwierigkeiten finden. Sie hat kleine Anfänge im Italienischen und Englischen. Ihr Französische Aussprache ist, soviel mein Ohr beurtheilen kann, höchst rein und angenehm, so wie sie sich auch den genie de la langue eigen gemacht hat – schade nur, daß hier zu wenig die Sprache geübt wird, da der Ort hiefür zu klein ist. – Übrigens kennt sie sich kein edleres und begehrenswertheres Geschäft als die Erziehung einer Fürstin, und würde daher wenige Bedingungen machen. Ein Wunsch würde vielleicht seyn, daß sie im Anfange auch die Kammerfrau der Prinzessin selbst machen, in der Folge die Maitres selbst wählen dürfte, sie würde im Anfange gern ohne Gage dienen. Auch die Erlaubniß "daß sie die Erziehung einer fast mannbaren Niece (einer Gräfin Slabberndorf, die interessant ist und sehr reich) in Weimar vollenden dürfe" würde ihr besonders willkommen seyn –

Doch genug vorerst, gnädiger Herr, bis ich weiß, ob der Gedanke selbst einer ist, oder zu spät kommt! Auch würde das Fräulein im ersten Fall sich gern in Weimar, Wilhelmsthal pp produziren, da sie ganz von sich abhängt. Ich füge daher nur noch die Bitte um gnädigste Verschwiegenheit, nebst der treuen Versichrung an, daß mich selbst hierbey wirklich keine schwächliche Emphase für eine Freundin, sondern die reinste Wärme für eine gute Sache und die tiefste Verehrung für die angebetete Fürstin leitet, wenngleich ich nicht das Glück habe, deren Unterthan zu seyn. Denn ich kenne kein lieblicheres Fürstenbild in meiner Seele, als – Maria, die Reine!

Beyliegend bin ich so frey, unsrer gnädigen Frau, der ich mich unterthänig |2 zu Gnaden empfehle, zwey Exemplare von der neuen Auflage meines Wilibalds zu übersenden, wovon ich das eine Selbst gnädig anzunehmen, das zweyte aber in der Bibliothek I. K. H. der Großfürstin heimlich mit jenem Exemplar zu vertauschen bitte, das in der Ostermesse 1806. Herr Geh. Rath von Göthe I. K. H. von mir überreichte, wenn es nemlich unser lieblicher Gott nicht vergessen hat. – Denn ein Dichter, gnädiger Herr, ist immer ein eitles Ding, und Sie werden daher den Gedanken "Wenn nun doch Maria einmal auf den Gedanken kommen sollte, einen deutschen Roman zu lesen und nun gerade nach Dir ärmstem Manne griffe, so würdest du doch untröstlich seyn, wenn dein opus nicht wenigstens in der neuesten und sehr gebesserten Form dastünde!" diesen Gedanken werden Ewr. Excellenz gewiß gnädig verzeihen!

In ewiger Treue und Verehrung

Ewr. hochfreiherrlichen Excellenz

unterthänig dankbarer
JEWagner

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Unbekannt. Meiningen, zwischen April und August 1809. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1071


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Textgrundlage

H: SBB, Slg. Autogr., Wagner, Johann Ernst, Blatt 7-8
1 Dbl. 4°, 1½ S.


Korrespondenz

Zum Schreibort: Wagner hatte 1809 Meiningen nicht verlassen. – Zur Datierung: Die Hanisch'sche Buchhandlung in Hildburghausen hatte die "neue verbesserte" Auflage von Wagners "Wilibald's Ansichten" in der ALZ und JALZ vom 8. April 1809 mit der Ostermesse 1809 als Erscheinungstermin inseriert. Wagner hat den Roman mit dem Brief mitgeschickt. Ende August reiste Antonie von Mützschefahl zu Pestalozzi nach Yverdon in die Schweiz, vgl. Emanuels Abschiedsbrief vom 14. August 1809. Zum Empfänger: In Frage käme der Weimarer Oberhofmeister Wilhelm Ernst Friedrich Freiherr von Wolzogen, der Gatte von Schillers Schwägerin Caroline von Lengefeld.