Von Johann Ernst Wagner an Achim von Arnim. Meiningen, 6. Mai 1809, Sonnabend

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Mein Herr!

Unter wahrhaft herzlichen Dankgefühlen las ich Ihre Beurtheilung meiner drey Bücher, die mir von meinem Verleger Hanisch vor einigen Tagen zugesandt ward. Dieser Verleger war sehr verlegen darüber, daß man mich in den Heidelb. Jahrb. d. L. so sehr persifflirt habe. Zugleich liefen mehrere Klagen von andern Bekannten ein, die in demselben Tone sprachen. Aber – das sind meine wahren Freunde nicht; sie verstehen nicht einmal mich, geschweige denn Sie, und würden mich verlachen, wenn ich ihnen sagte, ich hielte Sie, mein Herr, für meinen wahren Freund, und würde mich bey Ihnen bedanken.

Sie haben mich mit so vieler Menschenliebe gelesen und beurtheilt! – Sie haben Ihr sanftes Spiel mit mir getrieben; aber in der ganzen Recension ist auch kein einziger Ausdruck, der mich ärgern oder erbittern könnte! Jeder von meinen Fehlern, die aus meinen Büchern ersehen werden können, ist so richtig, so rein, so schonend, so gutlaunig und so gemüthvoll aufgestellt – und mein Gewissen hat jeden derselben gleich mit so voller Überzeugung anerkannt, ja ich möchte sagen mit solcher Freude bewillkommt, (Ach, noch Niemand hat mir sie suchen und finden helfen), daß ich – der hienieden nur zwey eigentliche Freunde hat – Sie, verehrter Mann, für den dritten, und am Geiste für den besten anzusprechen wage. – Was hätte ich werden können, wenn ich vor sechs Jahren Ihr Urtheil gekannt hätte, wenn Sie wenigstens damals meinen Wilibald damals beurtheilt hätten! – Aber, hat man wohl in unsern übrigen Lit. Zeitungen nur einen Begriff von Werth und Nutzen eines Richterstuhls, wie der Ihrige ist? Da ist kein guter noch böser Wille gegen den Autor, sondern nur reines Streben, das Organ der Welt für den Autor und das Organ des Autors für die Welt zu seyn! Da ist keine Lieblosigkeit, keine schmerzende Spötterey, keine Geringschätzung oder Vorliebe für das Kunstwerk! Da steht – (verzeihen Sie mir den Ausruf der Bewunderung!) da steht ein Mensch so erhaben und so schön vor mir da, dem ich nicht werth bin, die Schuhriemen aufzulösen, und der doch mit liebevollem Scherz zu mir spricht, keine unfreundliche Miene mir gibt und mich nicht verschmäht! – O Dank ihm!

Verschmähen Sie es auch nicht, aus beykommendem, letztem Bande meiner "Reisen" mich vollends ganz kennen zu lernen, und nehmen Sie dieses Andenken so herzlich gern an, als ich es Ihnen reiche. Gern wüsste ich Ihren Namen, gern Ihr Urtheil über dieses Buch! – Wollen Sie mir beydes schenken, oder doch das leztere – (denn die gedruckte Recension dürfte ich wohl schwerlich erleben, da eine 7 jährige Nervenauszehrung – die, meines runden und gesunden Porträts ungeachtet, schon damals weit vorgerückt war – diesen Frühling auf einmal mit mir zu eilen beginnt), so würden Sie mir eine grosse Freude machen, da ich ausser Ihrem Urtheil noch kein vernünftiges Wort über mich gelesen – auch ausser Göthens und meines Augusts (Cammerherr von Studniz in Gotha, (Sed haec inter nos!) den ich Sie aufzusuchen bitte, wenn Sie je nach Gotha kommen, da er das schönste Gemüth ist, das ich je fand) nichts vernünftiges über mich gehört habe – Doch will ich eine kleine Recension im Freymüthigen ausnehmen, die zwar bitter schmeckte, aber doch manches wirklich Treffende enthält, (Ich rede im Ernste!) worüber ich mich gewundert habe.

Leben Sie wohl, trefflicher Mann, und – ist es möglich, so erfüllen Sie meine zwey Bitten.

Meiningen
den 6n May 1809.
Ewig Ihr
dankbarer
J. E. Wagner
Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Achim von Arnim. Meiningen, 6. Mai 1809, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1074


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 272
1 Bl. 4°, 1 S. Im unteren Sechstel ausgeschnittener Papierstreifen. Auf S. 1 am oberen linken Rand von Karl August Varnhagens (?) Hand: E. Wagner. Zudem angepicht ein gelber Zettel mit Varnhagens Notiz: J. E. Wagner | an L. A. von Arnim. | Meiningen, 6. Mai 1809.

Überlieferung

h: BJK, Berlin V
1 Dbl. 8°, 2½ S. (von Achim von Arnims Hand). Auf S. 3, zweite Hälfte der Seite: Brief Achim von Arnims an Ferdinand Grimm vom 6. Juli 1828 (minimale Abweichungen). S. 4 Adr.: An Herrn F. Grimm | abzugeben in der | Reimerschen | Buchhandlung in | der Wilhelmstrasse zu | Berlin | frey An Stempel: DAHME | 9. JULI

D: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, hg. von C. Herloßsohn, 2 Jg. 1831, Nr. 123, Sp. 980

D: Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 29, 1897, S. 209–210 (ungenau)