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Meiningen d. 30sten September
1810

Oh Gott, mein Freund, es war ein herrliches Wiedersehen , Schwendler freute sich so herzlich seine treuste Freundin wiederzusehen, die Kinder – jedes nach seiner Weise – schmiegten sich an die Mutter, Pauline mit der unendlichen Liebe die ihr ganzes Wesen ausmacht, der süße Reinhold der mich wieder erkannte und mich zum erstenmahl nannte, und die ganz Kleine mit dem Lächeln eines Engels, dann die herzige Schwester, mein wakrer Pflegesohn, alle meine Hausgenoßen, mit einem Worte, ich war seelig und alles Ungemach der Reise löste sich in einem herrlichen Moment auf. Aber ich vergaß nicht der angenehmen Erscheinungen auf meinem Wege, ich dachte Ihrer, Guter, und hätte gewünscht Sie mit Ihrem schönen empfänglichen Herzen in unsrer Mitte zu sehen. Uebrigens werden Sie in meinem Hause durchaus geliebt, nach ächt Patriarchalischer Sitte, wer ein Glied liebt, den lieben Alle. Daß mir Ihre Bekanntschaft wohlthätig war, brauche ich Ihnen kaum zu wiederhohlen, aber daß Sie auf Amanda einen recht freundlichen Eindruck machten, daß setze ich gern hinzu. Schon früher würde ich Ihnen geschrieben haben, wenn mich nicht Amandas Pflege daran gehindert hätte. Gleich den Tag nach meiner Ankunft ward |2 sie ernstlich krank an einem rheumatischen Fieber. Vor drey Jahren lag sie an derselben Krankheit tödtlich danieder , weshalb ich in den ersten Tagen außerordentlich besorgt war. Jedoch ist dieses mahl der Anfall nicht so heftig und durchaus unbedenklich, nur leidet sie viel Schmerz und an einer höchst widrigen Unbehaglichkeit durch den ganzen Körper. Das Uebel selbst mochte sie sich in Gotha im Theater zugezogen haben, wo wir beyde einer fürchterlichen Zugluft im Rüken ausgesetzt waren. Auf mich wirkte sie unmittelbar, denn ich bekam gleich heftiges Halsweh und eine fatale Augen Entzündung, da ich aber für körperliche Schmerzen ziemlich abgehärtet bin, so habe ich die Sache still abgemacht, kaum daß es mein S. gemerkt hat.

Am Abend, als wir nach Gotha kamen ward nicht gespielt und ich mußte auf A. Bitten einen ganzen Tag in Gotha verweilen . Ich brachte in der That ein Opfer, denn die Sehnsucht nach den Meinigen war stärker, als meine Neigung beyde Künstler zu sehen. Mit Ifland war die ganze Welt zufriedner als ich, obschon ich mein Urtheil für mich behielt, die Jagemann spielte meisterhaft. Aber, ist es möglich daß die Kunst mechanisch werden kann und nicht den ganzen Menschen in ihr Heiligthum aufnimt? Himmel, welche gemeine elende Unterhaltung mußte ich nach dem Schauspiel ueber |3 mir anhören. Die Jageman, Iflands beyde , kamen in dem Wirtshause zusammen, wo ich wohnte, und nun mußte ich bis Mitternacht meine Ohren zu dem jämmerlichen Geschwätze leihen, die glükliche Amanda schlief ein.

Wir haben fortgesetzt das herrlichste Wetter und unser Werra Ufer ist so frisch das mir die Natur hier jünger als bey Weimar erscheint. Ohngeachtet Sie jüngst erst italischen Himmel begrüßte und ihre Augen sich am Schweizer Grün labten so lade sich Sie doch in unsre Berge und auf unsre Wiesen. Kommen Sie, lieber Schulze, die Ferien können Sie nirgends freundlicher zubringen. Wir wollen recht froh und glüklich sein.

Amanda grüße Sie herzlich, sie meint vor der Hand sey mein Brief lang genug ich sollte ihr vorlesen und dies würden auch Sie wollen.

Ich gehorche und danke mündlich mehr, In Wahrheit und Liebe

Ihre

Freundinn
Henriette S.
gebohrne v Mützschefahl

In meiner Adresse
unterschrieb ich mich so
weitläufig. Laßen Sie mich
ein wenig fortleben im Andenken
der herrlichen Hopfgarten und
der freundlichen Eglofstein-Aufseß
Amanda ist heute um vieles beßer

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Johannes Schulze. Meiningen, 30. September 1810, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1089


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 233
1 Dbl. 8°, 3 S. Auf S. 1 am oberen linken Rand von Karl August Varnhagen von Enses Hand: Henriette v. Schwendler, an Joh. Schulze | (Freundin Jean Paul Richters) | (Geschiedne Gräfin von Schlabrendorf.) Zudem angepicht grüner Zettel mit Varnhagens Notiz: Henriette von Schwendler | an Joh. Schulze. | Me iningen, 30. Sept. 1810. | Joh. Schulze