Von Heinrich Voß an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Heidelberg, 4. Mai 1811, Sonnabend

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Heidelberg, 4. Mai 1811.

Endlich in meiner kleinen Stube erwache ich aus meinem schönen Reisetraum , und fühle es erst so recht, wie glücklich ich gewesen bin, und noch bin in der Erinnerung all des Schönen, das ich genossen. Die Reise hat mir an Leib und Seele wohl gethan. Mir ist ja das Höchste zu Theil geworden, das ich mir denken kann, Umgang mit Menschen, zu denen ich mit Liebe und Ehrfurcht emporschaue. Du Herrlicher, denke ich an unser friedliches Zusammenleben auf Deiner friedlichen Burg, an unsre Gespräche, Vorlesungen, an unsre Spaziergänge, kleine Reisen zu Verwandten , an Deine Erzählungen, an Deine aus der innersten Seele hervorgequollenen Worte in der Todtenkapelle , auf dem Grabe Deines geliebten Vaters , an der Säule der Geschwisterliebe – o Dein eignes Herz muß Dir's sagen, wie ich dann bald von Freude, bald von stiller wohlthätiger Wehmuth durchdrungen bin. Dann möchte ich zu Dir fliegen, Dir die Hand drücken, an Deinem Herzen Thränen weinen. Habe Dank für Alles, für nichts aber so sehr, als für den Augenblick, wo Du mich und meinen Bruder in Deine Arme schlossest, und uns hießest Brüder bleiben unser Lebelang.

Als wir uns in Meiningen trennten , saßen wir eine Zeitlang still und nachdenkend im Wagen; dann überließen wir uns im herzlichen Gespräche der Freude über das Genossene, und unsre Herzen schlugen warm für den geliebten Bettenburger.

Wie ist mir die Zeit meiner Reise so schnell verschwunden – und doch, wie groß ist ihr Raum, wenn ich ihn überschaue. Die fünf Wochen scheinen sich zu so viel Monaten auszudehnen. Als ich im vorigen Sommer fünf Monate krank lag, war es fast umgekehrt, außer wenn einige Lichtstrahlen, wie in Stuttgart, die Finsterniß durchbrachen. Die Freude hat mich gesund gemacht, nicht die Ärzte Naphta und Phosphorus; drum will ich der Freude huldigen, bis mir der Genius des Todes naht und die Fackel löscht. Wie ist mir unser Wagner bei seiner Lahmheit ehrwürdig geworden. „Solche Kleinigkeiten,“ sagte er, „muß man achten, wenn das Herz nur froh ist.“ So spricht auch mein geliebter Bettenburger bei seiner Blindheit und Taubheit. So hoffe auch ich einst sagen zu können, wenn ich mich noch mehr in der Schule des Lebens gebildet habe.

Ernst Wagner ist ein herrlicher Mensch; sein großes, offenes, redliches Auge, sein biederes Wesen und die unwiderstehliche männliche Freundlichkeit in all seinen Mienen hätten mich angezogen, auch wenn ich noch nichts von ihm gewußt, mich nicht bereits sein Wilibald erwärmt hätte . So aber sah ich nur, wie ich zu ihm trat, was ich schon kannte.

In Weimar fand ich alles beim Alten. Bei meinen Collegen und ehemaligen Schülern, beim wackern Generalsuperintendenten Vogt stehe ich noch in gutem Andenken. Die Schiller wollte mich durchaus herbergen. Zum erstenmale sah ich meines geliebten Schillers Zimmer nach seinem Tode wieder, wo ich so oft fröhlich mit ihm war, wo wir den Othello gemeinschaftlich bearbeiteten, wo wir manches Glas Wein tranken, wo ich ihn zuletzt erkranken, hinscheiden und sterben sah. Heil dem Guten, Unvergeßlichen!

Zu Göthe ging ich mit sehr geringen Ansprüchen. Daß er mir noch gut war, wußte ich; daß er mir die alte Herzlichkeit sollte erhalten haben, durfte ich kaum hoffen, wie sehr ich's auch wünschte. Ich war ja seit 4½ Jahren sein Hausfreund nicht mehr, und in solcher Zeit ändert sich manches. Er empfing mich nicht eben herzlich, aber mit einer Freundlichkeit, die von Herzen kam, und ich ging vergnügt von ihm. Denk Dir nun meine Freude, als ich am folgenden Mittage bei ihm ganz den alten, väterlich gesinnten, liebenden Freund wiederfand. Nachher sah ich ihn noch zweimal in unvergeßlichen Stunden.

Wieland ist recht alt geworden, ein liebenswürdiger, ruhiger Greis, der von seinem Elemente getragen wird, das er sich selbst gebildet hat, und wie Herodots Makrobier einst sanft hinüberschlummern wird.

Man hat mich zum akademischen Senator erwählt und mir die Professur der Eloquenz neben meiner jetzigen übertragen. Das erste habe ich dankbar angenommen, das zweite höflichst abgelehnt. Es ist meine Sache nicht, jährlich zwei Programme zu schreiben und der Fürsten Lob in lateinischen Floskeln zu ertönen. Es sei eine große Ehre, sagt mein College Th. , die ich nicht ausschlagen müsse. Allein ich denke, ich werde auch ohne diese Ehre noch ziemlich ehrenvoll durch die Welt kommen.

O Du Theurer, ich habe Dich noch einmal so lieb, seit ich Dich in Deiner Umgebung, in Deinem Elemente gesehen, und diese Liebe ist mir wohlthätig; sie spornt mich und macht mir das Gute und Schöne klarer und anschaulicher. Gewiß Du bist mir auch etwas gut. Deine freundlichen Blicke redeten Wahrheit, und wenn ich recht froh sein will, so vergegenwärtige ich sie mir. Ungerufen steht Dein Bild vor mir, und wo ich mich hinwende, da folgt es mir auf den leisesten Wink.

Der Frühling hat diesmal Riesenschritte vor mir gemacht, da ich von dem ziemlich luftigen Weimar mit Windeseile nach dem warmen Neckarthale kam. Es war mir, als säh' ich auf einem Taschenspielerteller Samenkörner in einigen Minuten keimen, blühen und Früchte tragen, denn in unserm Garten hangen die Bäume schon voll kleiner Früchte.

Ich umarme Dich von ganzer Seele.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Heidelberg, 4. Mai 1811, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1098


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Textgrundlage

D: Briefe von Heinrich Voss, hg. von Abraham Voß. Bd. 2: Mitteilungen über Göthe und Schiller. Briefe an Chr. von Truchseß, Heidelberg: C. F. Winter 1834, S. 12-16.