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Tharant den 26. May 1811.

Sieh mein langes Schweigen nicht als Nachlässigkeit an! Häußliche Unglücksfälle waren zum Theil Schuld, meine Frau war sehr - fast tödlich krank, kam endlich mit einem Mädchen nieder, und dieses starb nach 10 Tagen, wobei meine Frau aufs Neue viel litt und ich selbst sehr niedergedrückt wurde. Mehr noch als dies alles hielt mich aber mein lahmer Fuß ab, die nöthigen Erkundigungen einzuziehen, und früher wollte ich nicht schreiben. (Der fatale Fuß ist durch meine Herreise so schlimm geworden, daß ich noch immer selbst im Orte das Pferd gebrauchen muß.)

Nun zur Sache! Ich sprach vorlängst über Deine Angelegenheit mit einem vortreflichen Manne, dem Geheimen Finanzsecretär Thilo in Dresden. |2 Dieser ist enger Freund von Kügelgen und erboth sich sogleich, mich bei demselben einzuführen und Deine Sache zu unterstützen, sagte mir aber zugleich, daß nicht nur die Frau in der That sehr kränklich wäre, sondern auch der Mann. Ueberhaupt hielt er es nicht für sehr gut, ihm Deine Kinder ins Hauß zu geben, weil der sonst vortrefliche Mann jetzt äusserst überspannt und abgespannt sey, oft Wochenlang nicht zu sehen wäre, in mehreren Tagen niemand zu Tische käme, sondern jedes seine Krankenkost für sich genäße pp

Um indeßen den Mann näher kennen zu lernen, gingen wir zu ihm, und – niemand war im Hauße zu sprechen, wie Thilo prophezeit hatte!

Dieser schlug mir nun den Professor Hartmann |3 vor, und übernahm es, mit demselben zu sprechen, wobei er zugleich versicherte, daß er es für vortheilhafter hielt, demselben Deine Kinder zu übergeben. Heute referirt er mir nun, daß er seinen Auftrag erfüllt habe, daß aber Hartmann Anfangs etwas pikirt darüber gewesen sey, daß Du Dich erst an Kügelchen, und zuletzt an ihn gewendest habe. Nachdem er indessen erfahren, welcher Ernst Wagner Du eigentlich seyst, wäre er freundlicher geworden, und habe sich geneigt gefunden, Deinen Kindern freien Unterricht zu geben. Nothwendig würde es aber dabei seyn, daß Du hiervon noch keine Notiz nähmest, sondern vor allem erst das ihm vorher entzogene Zutrauen zu erlangen suchtest. Was den Demiani betrift so soll dies ein vortreflicher Mensch seyn, bei dem Deine Kinder sehr gut aufgehoben wären. Auch könnte der |4 Umstand, daß er Miniatur-Mahler ist, nicht viel schaden, weil Hartmann den eigentlichen Unterricht geben würde, der Aufwand scheint mir nur gar zu groß.

Thilo erboth sich, Deinen Kindern Kost, Quartier, Wäsche und sehr gute Aufsicht für die sehr geringe Summe von 160 rth für beide zu verschaffen in einer Freimaurer-Erziehunganstalt , hat aber ein Bedenken dabei, nemlich: es bekommt keiner ein einzeles Zimmer, sondern mehrere sind mit einem Lehrer in einem Saale.

Entschließe Dich nun zuvörderst bestimmt, ob Hartmann oder Kügelchen der Mentor seyn soll, und wende Dich dann eben so bestimmt an den Erwählten. Mein Fuß erlaubte mir zwar noch nicht Hartmanns persönliche Bekantschaft zu machen, Thilo – dessen Urtheil bei mir viel gielt – rühmt ihn indessen sehr.

Vergieb meine Eile; die Nothwendigkeit gebiethet sie diesmal! — Ewig

Dein

Cotta

Wolltest Du nicht selbst an Thilo schreiben? es ist ein sehr gescheiter viel geltender Mann.

Tüplitz ist 7 Meilen von Dresden, der Weg dahin soll sehr gut seyn.

Zitierhinweis

Von Johann Heinrich Cotta an Johann Ernst Wagner. Tharandt, 26. Mai 1811, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1100


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Textgrundlage

H: SLUB, Einzelautographen, Mscr.Dresd.Aut.1710.a
1 Dbl. 4°, 4 S.