Von Karl August Freiherr von Wangenheim an Johann Ernst Wagner. Stuttgart, 22. Juni bis 3. Juli 1811, Sonnabend bis Mittwoch

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Stuttgart den 22sten Juny 1811.

Dank, herzlichen Dank, Ihnen u Ihrem lieben Anton, für das gute Gesicht, das ich mir erbeten und das Ihr mir so schön gegeben habt. Es ist lange, Lieber! daß ich Sie nicht gesehen und ich habe Sie leider so wenig gesehen und dennoch habe ich es auf den ersten Blick wieder erkannt und Sie stehen lebendig vor mir, wie sie sind und wie Sie aussehen. Es ist schön vom lieben Gott, daß die Menschen in Augenbliken, wo sie sich nicht verstecken wollen oder auch können, immer so aussehen, wie sie sind, und eben so schön ist es, daß sich dieß Gesetz durchgreifend in der ganzen Natur aussagt. Ich kann Ihnen heute über das Bild, als Bild, nichts sagen, als daß es mir unaussprechlich wohl gefällt. Man genießt nur halb, wenn man immer nur analysirt u vergleicht. Aber auch dafür giebt es eine rechte Zeit u Sie sollen nicht um meinen Senf kommen. Danneker und Rapp (nicht Happ) sollen es aber heute noch sehen, u ich will treulich niederschreiben, was sie sagen werden und dieser Männer Senf ist englischer gegen meinen, der übrigens alles lieber seyn möchte, als französischer. Daß Anton den Johannes liebt und mahlt, freut mich. Er nimmt ihn anders, als Dominichino und doch ebenso und ich will Ihnen eine Beschreibung des Bildes beylegen, so bald ich es noch einmal gesehen habe. Antons Bruder grüßen Sie schön von mir. Er hat dem Heinrich V. so wohl gefallen. Schreiben Sie mir doch etwas Näheres über ihn u seinen Weg, vielleicht können Sie mir auch einmal etwas von ihm zeigen. Aus dem Knaben muß etwas Rechtes werden und ich habe Ihnen schon gesagt warum, auch steht es in Ihrem Briefe an Truchseß, denn die Alten sind schön, die Natur ist göttlich, die Liebe allmächtig u das Beyspiel befestigend. Seyn Sie glüklich in Ihrem Glücke, Lieber.

Cotta war sehr preßirt und – in Falla – durch Reisegesellschafter gebunden. Auch meinen alten Vater konnte er in Gotha nur einen Augenblick in der Nacht sehen. Ihren Gruß richte ich aus.

Der Gruß von Studnitz ist mir ein erfreuliches Geschenk. Ich liebe ihn gar innig. Er ist so unendlich viel in seiner hohen Wahrheit und , Wagner! kennen Sie etwas herrlicherers, als |2 die Wahrheit im ganzen Menschen, in dem seyenden und erscheinenden, vollständig und bewußtlos durchgeführt und etwas, das seltener wäre, auch bey trefflichen Menschen? Diese Seite seines Wesens ist es, die mir von Jugend auf an ihm herrlich erschienen ist u mich für immer an ihn gefeßelt hat, wenn ich noch den Umstand hinzufüge, daß seine Mutter uns trennen wollte, weil sie mich für verdorben hielt. Sie hatte nur halb recht, die gute Frau, u daher ganz unrecht; aber glüklich war es doch für mich u vielleicht auch gut für ihn, wir haben aber nie darüber gesprochen und das freut mich heute noch. Sie haben, lieber Wagner! über ihn ausgerufen: was wird einst aus diesem herrlichen Geiste werden, wenn ihn der Leib unter den Jubelklängen der Ewigkeit frey giebt! Es ist schön, aber lieber möchte ich doch sagen: wie würde dieser herrliche Geist anerkannt werden, wenn er in einer Welt lebte, wo man Geist u Leib nicht so schneidend trennte, wo man einsähe, daß geistige u physische Kraft Eins seyen, und beyde ihren Stoff verlangen, an dem sie sich zu manifestiren vermögen. Nur wo der Eine unter der Form des Leiblichen über das Nämliche unter der Form des Geistigen siegt u etwas herrschender für sich seyn will, ist Sünde u Tod; aber umgekehrt, bey Gott! auch. Dafür, daß der starke Mensch der Natur in der Welt der Unnatur sündlich erscheint, kann nur die Unnatur, nicht die Natur verantwortlich gemacht werden. Es ist gewiß eine große Verkehrtheit der Zeit, das Leibliche theoretisch in eben dem Grade zu tief zu setzen, in welchem man es praktisch zu hoch sezt; aber dieser Irrthum, an dem der Idealismus laborirt, wird am Ende doch verteufelt praktisch u führt zu wahren Teufeleyen. Ueberhaupt glaube ich nicht, daß der Geist vom Leibe je frey werde; aber ich glaube auch nicht, daß es nothwendig u wünschenswerth sey. Was soll ich los zu seyn wünschen von etwas, was mich nicht bindet? Nicht der Leib bringt die sinnliche Sklaverey in die Welt, sondern der Verstand, der alles trennt u relativ sezt und also auch Leib u Seele entzweyt. Wie Gott seinen Leib am Universo hat und dieses Universum doch wieder der ganze Gott ist, so auch mit dem Menschen in Leib u Seele.Die hohe Beziehung des Physischen wird uns nie klarer und seine Wesenheit wird uns nie auf eine so eigene Weise fühlbar, als bey dem Tode eines geliebten und verehrten Menschen. Wir können uns einmal nicht mit einem allgemeinen Fortdauern unserer Verstorbenen begnügen. Ihre ganze Per |3 sönlichkeit möchten wir erhalten. Wie wohlthätig ist dann der Glaube, daß auch der schwächere Theil unserer Natur in Gott aufgenommen ist, wie tröstend ist die Gewißheit von der Vergötterung der ganzen ungetheilten Menschheit durch Christus? In der That, wenn diese mystische Verbindung der göttlichen u menschlichen Natur der höchste Punkt im Christenthum ist, so ist die Ueberzeugung von einer wirklichen Einheit Gottes u der Natur, kraft der sie nicht blos als ein Beherrschtes oder hervorgegangenes, sondern auf eine eigentlichere u persönlichere Weise zu ihm gehört, der lezte Durchdringungspunkt der Wißenschaft. Von diesem Punkte aus erscheint uns erst alles im höchsten Lichte. Gerade der Tod, der uns unsere Abhängigkeit verwünschen läßt, der ein menschliches Gemüthe im ersten Eindrucke mit Abscheu gegen diese unbarmherzige Gewalt erfüllt, die auch das Schönste u Beste, wenn es ihre Gesetze fordern, schonungslos vernichtet, gerade der Tod, tiefer erfaßt, öffnet uns das Auge für jene Final-Einheit des Göttlichen mit dem Natürlichen. Wir können einmal der Natur eine gewisse untergeordnete Allmacht nicht abstreiten; wenn sie nun nicht Gottes ist, nicht zu ihm gehört, so ist sie eine Art von andern Gott, dem wir wenigstens mit einem Theile unsers Wesens angehören; wie können wir nun Kinder des wahren Gottes seyn, da wir doch nicht von seinem Fleisch u Blute sind; oder wie wird der Gott, der lauter Geist ist, den Leib auferwecken, der dem andern Gotte angehört und ihn mit dem Geiste wieder verbinden, der allein seines Geschlechts ist? – Ohne jene lezte Hoffnung, wäre selbst die Gewißheit der sogenannten Unsterblichkeit nur eine halbe, nur eine mit Schmerz erfüllte Freude. Die Gewißheit, daß der durch den Tod gegangen ist, der zuerst die Verbindung zwischen dem Natur- u dem Geister-Reiche hergestellt hat, verwandelt den Tod für uns in einen Triumpf, dem wir entgegen gehen, wie der Krieger dem gewißen Siege und mit der Wonne der unmittelbaren Gewißheit töne ich immer die Worte in mir nach, die einst Schelling in hoher Begeisterung sprach: Wir dürfen uns unsers Looses als Menschen freuen; denn gewiß die Bestimmungen, die uns erwarten, sind unglaublich hoch u ich wenigstens, der ich weit entfernt bin von aller sentimentalen Sehnsucht nach dem Tode und fest entschloßen, zu leben u zu wirken, so lang es mir vergönnt ist, muß mir doch den Augenblick des Sterbens als den wonnevollesten des ganzen Lebens denken. —

|4 Nehmen Sie, lieber Wagner! diese Abschweifung, wozu mich Ihre Bemerkung über Studnitz verführte (dem ich übrigens, mit Ihnen, die gleiche Sache unter andern Namen, nämlich reine Phantasie, auch von Herzen wünsche) zugleich als einen Pendant zu Ihrer Empfindung am Ostertage und als einen Beweis, daß wir auch hier auf verschiednen Wegen zu Einem Ziel kommen. Und das ist eben wieder das göttliche Siegel der Religion, daß ihr Wesen so Eines u Ihre Formen so unendlich sind, wie die Formen alle, unter denen sich das Göttliche sezt u offenbaret.

Ueber den Werth und Unwerth der wahren und falschen Mystik sind wir – glaube ich – ganz verständigt; doch fühle ich mich gedrungen – so geht mir die Sache zu Herzen – noch eine Bemerkung zu Ihrer anzufügen."Was die Wernerische Mystik betrifft so liebe ich sie sehr, insofern sie auf das Himmlische geht" sagen Sie und gewiß ist das auch meine Meynung; aber ich verlange noch mehr, und zwar als conditio sine qua non ihres Werths, daß sie nämlich Ausdruck, Folge eines wahrhaft u lebendig Empfundenen sey und nicht als stimulus für das Empfindende, als Grund der Empfindung angesehen u benuzt werden wolle. Ihr e Urtheil über Werners Mysterie der Thalritter ist das meinige; aber darin kann ich nicht mit Ihnen übereinstimmen, wenn Sie sagen: "Der Mensch muß nichts Himmlisches wißen wollen!" und dann blos den Glauben statuiren. Sie haben zwar vollkommen recht, daß der Mensch, der empirische Mensch, als solcher, von Gott u seinen Himmeln nichts weiß u nichts wißen kann; aber dieser Mensch hat auch nicht den Glauben, den Sie verlangen u postuliren, sondern den Wahn, die Superstition. Der Mensch, als endliches Wesen, als Individuum, weiß nicht u glaubt nicht; aber er existirt auch, als solches, nur in der Reflexion und also so gut, als gar nicht. Seine wahre Existenz u, was Eins ist, sein wahres Wißen wurzelt nur in Gott und sein Scheinleben folgt dem wahren Leben eben so nothwendig, als nichtig, wie der Schatten dem manifestirten Lichte. Nicht ich, nicht Sie, nicht wir wißen und glauben, sondern Gott ist es, der sich in uns weiß der sich in uns selbst erkennt. Aber es ist wohl sonderbar zu sagen, daß Gott |5 sich in uns nur glaube? Und dennoch giebt es einen menschlichen Glauben, so gewiß als es einen thierischen Instinkt giebt. Beyde sind ein Beleg für eine, von aller Subjectivität unabhängige, objective Vernunft (Weltseele) und nur dem Grade nach verschieden. Daher das Nöthigende, das Unmittelbare in den beyden Erscheinungen; daher die Untrüglichkeit des Sinns, des Instinkts u des Glaubens. Hier hat der trennende subjective Verstand noch keine Macht und alles nimmt mehr den Charakter der ungetrübten Vernunft an. Aber dennoch ist dieser Glaube, dieser Instinkt so wenig das Höchste, als die sinnliche Erkenntnißweise die höchste ist. In diese Einheit mußte der Verstand Zwiespalt bringen, damit Totalität werde, die bewußte, geoffenbarte Einheit in Allem. Der Glaube ist das nicht-wißende Wißen mit dem Bewußtseyn, daß etwas Höheres in uns waltet; der Instinkt ist das nämliche nicht-wißende, aber zugleich bewußtlose, Wißen in völliger Objectivität; über beyden aber steht das wißende und bewußte Wißen der Vernunft, welche den entzweyenden Verstand besiegt hat und ihn zu ihrem Diener macht zur Darstellung des Unendlichen im Endlichen im Sinne des göttlichen Plato. So darf u kann es nicht allein ein Wißen des Himmlischen geben, sondern es soll u muß es auch geben, denn alles andere wurzelt in diesem und ohne dieses wäre gar kein anderes u auch kein Glaube ohne Wahn. Aber nicht Allen ist es gegeben und das gehört wieder zur Göttlichkeit Gottes, daß er sich nicht allein unendlich, sondern auch auf unendliche Weise sezt.

Sie sehen nun, Bester! wie auch wir im Punkte des Glaubens in unserer Verschiedenheit Eins sind. Nur die Reflexion trennt uns, nicht die Sache d. h. nur der Verstand, nicht die Vernunft; nur die Höhe des Standpunktes, nicht seine unergründliche Tiefe.

Darnach würden wir uns denn auch entzweyen u versöhnen über Ihr gefolgertes Wort: "Auf Erden giebt es keine Meisterschaft" Aber die Ausführung führte mich heute weiter, als ich mich führen laßen darf um Ihret- u meinetwillen. Jedes Ding – so viel nur sey hinzugesezt – ist meisterhaft, wenn es ist, was es nach seiner Idee u durch sie seyn kann; also auch der Mensch. |6 Im absoluten Sinne ist Pflanze = Stein = Mensch; denn nur in der Relation keimen u blühen die Klaßen u Abstufungen, die die absolute Natur nicht kennt und erst in der erscheinenden hervortreten lässt. —

Gerade diese "herzlichen Worte" in Ihren Gedichten, lieber Wagner! sind es, die mich so innig u für ewig an Sie hinziehen u in Sie hinein. Sie haben ganz recht gesehen. Aber nicht die Worte sind es allein und nicht das herzliche ist es allein, sondern das, daß logos u Herz bey Ihnen u in Ihnen Eins u ungetrennt, nicht zusammengemischt, sondern ursprünglich Eins sind, daß Sie daher nicht Sich wollen in Ihren Werken, sondern die Idee in der allein wir leben, weben u seyn können, die Idee der Wahrheit, Schönheit u Tugend in ihrem ungetrübten Einsseyn.

Alle Freunde grüßen Sie herzlich u schmerzlich, mein Theurer! Von Rapp u Cotta lege ich Zeilen bey. Mit Rapp bin ich ganz einverstanden: das Zeichnen thut Noth und ist das Erste für die Darstellung! Die Idee aber füge ich hinzu, ist das Centrum. Mit jedem Mittelpunkte ist aber schon zugleich die Peripherie gegeben und der ganze Kreiß, freylich nur in der Unendlichkeit. Zur Darstellung des Unendlichen im Endlichen dazu gehört die Hand des Künstlers und sein Auge u beyde müßen fest u sicher seyn durch Uebung u Kritik. Die Kultur der Idee aber steht höher u ist unbedingter, denn die Kunst steht u fällt nicht mit dem Künstler, sondern ist ewig. Ueber die Bildung Ihrer Knaben zu Künstlern habe ich Truchseß eine Idee vorlängst hingeworfen. Er wird sie Ihnen mittheilen. Gefällt sie Ihnen, so kann er mit der edlen Herzogin, ich mit dem biedern Danneker sprechen u Hartmann findet sich von selbst. Die Knaben könnten hier lernend verdienen u verdienend lernen.

Grüßen Sie Ihr liebes Weib, dem Gott beystehen mag nach seiner unend |7 lichen Weisheit u Güte, und ihre lieben Kinder, auch den Erzieher des Prinzen, Hendrich u Konitz – vor Allen aber Studnitz von

Ihrem

eigensten Freunde
Wangenheim

Geendigt am 3ten July 1811.
Zitierhinweis

Von Karl August Freiherr von Wangenheim an Johann Ernst Wagner. Stuttgart, 22. Juni bis 3. Juli 1811, Sonnabend bis Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1103


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
2 Dbl. 4°, 6¼ S. Auf S. 8 Adr.: An | Ernst Wagner | in | Meiningen | durch Einschluß. | nebst 2 andern Briefen.