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Meiningen den 12. Jul. 1811.

Innigen Dank, verehrter Freund, für deine theuren Zeilen und das gütige Versprechen, meinen J. v. N. durchgehen zu wollen ! Es soll mir sehr recht seyn, wenn Du sodann die Freundschaft haben willst, das ganze Packet unter der unfrankirten Addresse "An Herrn Legationsrath J. P. F. Richter in Baireuth" abzusenden, mit dem gewöhnlichen Postwagen. Ich schreibe ihm heute deßhalb. – Der Himmel mag Euch edlen Seelen alle Eure Liebe zu mir vergelten. Ich kann es auf Erden nicht anders, als durch mein herzliches Gebet für Euer Glück.

Sey weder streitselig, lieber Bruder, noch bescheidner als es Dir ziemt, sondern gehorche, und bald, dem Gebote, das Dir in meinem letzten Briefe echte Freundschaft gab! Zum Glücke weiß und fühle ich fest, daß du binnen Jahresfrist ganz anders denken, und uns Deine erste deutsche Dichtung schenken wirst, die ich noch recht con amore zu lesen und im Publikum irgendwo anzuzeigen hoffe. So sey es – und in dieser Überzeugung lebend, will ich nicht mehr zanken.

Darf ich Dich heute noch mit einer Bitte beschweren? Herr Pfß. Wilkens in Heidelberg ersuchte mich unlängst, da ich "wieder gesund sey" mein ehemaliges Recensiramt in den H. Jahrbüchern fortzusetzen und z. B. des Achim v. Arnim Halle und Jerusalem zu übernehmen. Nun weißt Du selbst, guter Engel, wie steif meine Finger zum Schreiben sind. Wolltest Du mich wohl gütig entschuldigen, (aber ja recht schön!) daß ich ihm heute nicht selbst antworte? Ich will es in der Folge noch thun und bin es nicht in Abrede, im künftigen Winter wieder Etwas für die H. JB. zu arbeiten – aber über A. v. Arnim nicht wohl, da mein Urtheil über ihn – sonst günstig – sich nicht so bestätigt hat, wie ich vor zwey Jahren noch hoffte , wo er viel erwarten ließ, das er nun nicht leistet. Der durch lieb- und geistliche Prasserey jetzt sehr geschwächte Clemens Brentano scheint auch ihn geschwächt zu haben. Wirklich habe ich über seine "Gräfin Dolores" eine Beurtheilung fertig liegen, will sie aber nicht abdrucken lassen, da sie gar zu ungünstig ausfiel und dem Verleger schaden könnte. So würde es auch – vielleicht noch ärger – mit "Halle und Jerusalem" werden. Sage doch also Herrn Pfß. W., daß er im nächsten Winter vielleicht die Folgen seiner freundlichen Einladung sehen solle, wenn mir etwas interessantes bey meiner Lectüre vorkommt.

Ende dieses Monaths soll ich meinem lieben Truchseß hier sehen, da er mit Schulern nach Liebenstein geht. Freue Dich mit mir!

Adieu für heute, guter, theurer Heinrich! Ewig

Dein

getreuer
JEWagner.

Eodem Abends.

Ich breche, mit innigem Entzücken diesen Brief wieder auf. Wer war heute Abends um 7 Uhr bey mir? Ein Grieche – ein Mann, der nicht nur klassisch schrieb und sprach, sondern auch klassisch lebte – ein blühend gesunder, schlichter, freundlicher, anmuthiger, ächter Mensch, der – o Wonne – noch täglich klassisch spricht, schreibt und lebt! Und eine Frau von seltner Schlichtheit – Reinheit in jeder Miene – menschlicher Güte in jedem Worte – Gemüthlichkeit in dem schönen, häuslich klaren Ganzen – deren ehrwürdige Hand ich mit heiligerem Entzücken zu küssen wagte, als je eine Hand auf Erden – ja mit solchem Entzücken, wie die theuern Hände meiner Freundin Antonie und meines Truchseß. Nun, sa |2 ge mir, wer war das liebliche Paar? – So vernimm es denn, theurer [...] weine: Es war Dein VaterDeine Mutter – Deine ehrwürdigen [...]lichen Eltern waren es! Und wohl und gesund waren sie da – und grüßen durch mich Glücklichen, Dich, ihren Sohn, den guten Sohn, dem ich sie gönne, weil er ihrer werth ist. – Ach, sie wollten kaum am Wein nippen und Mutterchen gar nicht – weil ihr warm war – nichts haben sie genossen bey mir – nicht einmal meine Liebe, weil mich wieder einige Freunde um sie zur Hälfte brachten. Der Teufel hole die Freunden, lieber Voß!

Morgen frühe gehen sie um 4 Uhr nach Rudolstadt – und dann auf die Bettenburg – und – lassen – mich – zurück –

Die Jungen haben sie gesehen – leider aber meine gute verschämte Luise (die ich insgeheim meinen Liebling nenne, weil sie mich so innig versteht) nicht – da sie nach Liebenstein verreist, und nur meine Frau da war. Aber die Jungen haben mich gefreut: "Das muß ein enorm guter Mann seyn – er ist so scho[...] und hat so helle Augen – und er spricht nicht anders, als wie wir alle auch – nicht so wie der "N. N." – wenn ich nur einmal bey der gar guten Frau wäre – mich dünkt es müsste sehr schön bey ihr seyn – so schön sicher – (was sagst Du zu diesem Naturphilosophen? Es war die kleine Kröte! ) – es wird einem so appetitlich, in Heidelberg zu seyn!" und s. w. – Nun, gute Kinder, (Es hatte, wie sie bemerkten, noch niemals jemand so schön beym Weggehen "Guten Abend" zu ihnen gesagt, wie der "schöne junge Mann" ) bleibt nur reines Herzens – so werdet ihr einst (Mag ich doch dahin seyn!) in der Abenddämmerung zu Heidelberg in das liebe Haus treten und Vater und Mutter und Sohn getrost mit einem eben so reinen "Guten Abend" grüssen dürfen. – Versprich mir, daß Du meinen Jungen gut bleiben willst, so lange sie es irgend verdienen! Denke einst: "Sie waren einmal kreuzbrav!"

Gute Nacht!

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Heinrich Voß. Meiningen, 12. Juli 1811, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1104


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Textgrundlage

H: Eutiner Landesbibliothek, Reliquien VIII.B.
1 Bl. 4°, 2 S.